Gelesen: WÜSTE WELT von Wolfgang Popp (mit Interview)

Hinweis: Ich bin mit dem Autor Wolfgang Popp befreundet, habe aber das Buch regulär gekauft. Das Praktische an unserer Freunderlwirtschaft ist jetzt, dass ich Wolfgang zum Gespräch bitten konnte, um ihn über seinen Arbeitsprozess zu befragen. Der ist nämlich sehr besonders. Das Interview und meinen neuen Podcast findet ihr am Ende dieser Rezension.

WÜSTE WELT von Wolfgang Popp beschäftigt sich mit dem Verschwinden. Und mit einer Geisterjagd, in der keine Geister vorkommen. Zumindest keine, über deren Existenz ich mir nach dem Lesen des Buches wirklich sicher wäre.

Es geht um zwei Brüder, und der ältere der beiden erzählt uns die Geschichte einer Reise, die vom SMS seines jüngeren Bruders ausgelöst wurde. „Waren das Tage bis jetzt. Mit Ideen gespielt und mit Menschen getanzt. Und jetzt in den Süden, damit die Dinge sich klären. HG 3734. Oh brother, where art thou?“ steht in der Nachricht, und der ältere Bruder macht sich auf die Spur des jüngeren.

Wolfgang Popp: Wüste Welt, Edition Atelier 2016

Wolfgang Popp: Wüste Welt, Edition Atelier 2016

Die Reise durch Marokko wird bald zur Schnitzeljagd, und der jüngere Bruder scheint dem älteren immer einen Schritt voraus zu sein. Das ist, wie man während der Reise erfährt, ein vertrautes Symptom in deren Beziehung. Denn der jüngere hatte den älteren ärgerlicherweise immer in Windeseile eingeholt – in der Schule, im Studium, bei jeglichen Interessen. Außer beim Gesang. Das war das einzige Fachgebiet, das sich für den älteren Bruder als unschlagbar herausstellte. Also wurde er Sänger. Und jetzt fährt er durch die heiße Wüste und jagt eben diesem jüngeren Bruder hinterher, obwohl er ihn meistens schwer erträgt. Aber ohne ihn kann er offenbar auch nicht sein. Die Verfolgung bekommt etwas besessenes, als der ältere Bruder immer mehr Hinweise findet, die ihn mitten in die Wüste führen. Ob sich die beiden schließlich treffen, lest ihr am besten selbst nach.

Ich fand es spannend, wie sich die Reise bald wie die Jagd nach einem Phantom anfühlt. Irgendwann war ich mir nicht mehr sicher, ob der jüngere Bruder überhaupt existiert, oder ob sich hier der ältere Bruder selbst hinterher jagt, quasi Fight Club. Und das passt wieder zu den Geistern, die sich thematisch als roter Faden durch die Geschichte ziehen.

Die Reise verläuft in Stationen, die mit unterschiedlichen Begegnungen einhergehen. Manche wirken wie aus einer Zwischenwelt. Das hatte die Geschichte für mich sowieso zunehmend an sich: Etwas Flirrendes, wie die Hitze über dem heißen Sand, wo man dann nicht mehr weiß, wo der Himmel genau beginnt. Genauso wusste ich irgendwann nicht mehr, was wahr ist und was die Kopfgeburt des älteren Bruders. Und diese Verwirrung mochte ich besonders.

WÜSTE WELT ist aber nicht nur die Geschichte einer ungewöhnlichen Reise, sondern das Buch hat auch einen interessante Recherchegeschichte. Und darüber habe ich mit Wolfgang Popp gesprochen. Die gekürzte, redigierte Version steht hier im Blog; das ganze Interview mit noch mehr Fragen und den ausführlichen Antworten könnt ihr hier als Audiofile nachhören, das gleichzeitig die erste Ausgabe meines Podcasts schreiben.hören ist, in dem ich mit Autorinnen und Autoren über ihre Arbeitsweisen spreche.

Gibt es bei dir eine Trennung zwischen der Idee, und der Phase, wo du es aufschreibst, oder ist das bei dir ein Prozess?

Wolfgang Popp: Bei mir war es früher viel stärker zweigeteilt. Da hat es die Jäger- und Sammler-Phase gegeben, wo das Notizbuch mit Konzeptideen, ganz konkreten Szenen, Figurenvorstellungen, Ortsbeschreibungen, also wirklich mit allen Zutaten, die man für einen Roman braucht, gefüllt worden ist, und es dann nachher einen sehr komplexen Kompositionsvorgang gegeben hat, wie sich jetzt diese Scherben zusammenfügen lassen. In diese Scherben war ich relativ verliebt, und man weiß ja ganz genau, dass ein Roman nichts dringender nötig hat, als dass man seine Darlings killt. Und es war mir dann oft nicht möglich, diese Scherben wegzuhauen, weil jede Scherbe für sich allein eigentlich für mich einen gewissen Glanz gehabt hat, aber im Gesamtgefüge nicht gepasst hat. Das war wirklich ein Lernprozess, diese Dinge dann auch wegzulassen und gleichzeitig ist dann auch ein Mißtrauen entstanden gegenüber dieser in alle Richtungen offenen Sammelphase. Von diesem frei flottierenden, wo eben das Notizbuch eine wichtige Rolle gespielt hat, zu diesem viel stringenteren Schreiben, wo gewisse Dinge eher im Kopf gewälzt werden, und ich von diesem Aufschreiben weggekommen bin,  weil ich mir jetzt denke: Nur was für diese Story wirklich relevant ist, bleibt im Kopf, und kann hoffentlich im Moment des Schreibens wieder aufploppen.

Du hast für dein neues Buch die Methode des Reisens erwählt, und wie beim Method Acting für Schauspieler reist du in der Figur an die Orte des Geschehens. Aber an welcher Stelle im Prozess passiert das? Entsteht alles während der Reise, oder hast du den Plan im Kopf, damit du überhaupt in die Figur einsteigen kannst, um die Reise zu machen?

Wolfgang Popp: Beim vorigen Roman war eine Geschichte schon relativ fertig im Kopf konzipiert, dann bin ich an den Schauplatz Cambridge gefahren und habe dort ein Haus entdeckt, von dem ich gewusst habe: Da wohnt meine Figur. Nur hat diese Wohnung überhaupt nicht zur Figur gepasst, wie ich sie konzipiert gehabt habe. Trotzdem hat das für mich irgendetwas aufgemacht, und ich habe mich dann an den Vorgaben des Ortes festhaltend die Geschichte umgeschrieben. Die Geschichte und die ganze Figur hat dadurch einen doppelten Boden bekommen, und der ganze Geschichtenverlauf ist anders geworden. Beim jetzigen Roman habe ich viel weniger vorkonzipiert. Ich habe gewusst: Ein Mann sucht seinen Bruder. Ich habe gewusst, dass es zwischen denen ein gewisses Spannungsverhältnis, eine Hassliebe gibt. Und warum das Marokko geworden ist, könnte ich jetzt gar nicht mehr sagen. Ich glaube schon, dass ich die Wüste gebraucht habe, und das war jetzt für mich die naheliegendste Wüste. Ich wollte für mich nicht einen Exotismus verfallen, dass es nach Timbuktu geht, so mythen- und legendenbeladene Orte, sondern es sollte schon eine gewisse Zugänglichkeit haben. Marokko ist von den Urlaubsländern wie Ägypten gleichbedeutend – man setzt sich in Air Niki rein und kürzeste Zeit später ist man relativ unkompliziert vor Ort. Man begibt sich in die Figur hinein und fährt dann einfach die Orte ab und stellt sich einfach vor, man sucht jetzt wirklich jemanden, sucht nach Indizien. Was sind die Anhaltspunkte, mit wem rede ich, was sind die Spuren, um diese Person zu finden. Wim Wenders hat Ähnliches zu seinen Filmen gesagt –  dass er sehr oft einfach nur den Ort hat, und eine Figur da hinstellt, und den Rest macht dann die Bewegung des Ortes. Es wird dann immer irgendetwas passieren. Ich finde das sehr interessant, und ich möchte auch mit diesem Prozess weitermachen. Das derzeitige Buch wird in verschiedenen Kapiteln stattfinden, und manche Kapitel will ich rein fiktiv schreiben, und manche Kapitel mit dieser semidokumentarischen Methode, und da überlege ich mir wirklich, ob ich nicht einen Schauspieler dazunehmen soll. Der ist dann für mich die Figur, und ich bin dann die Figur nicht von innen, sondern von außen und beobachte, und rede mit ihm auch darüber, was jetzt mit ihm los ist, und gebe ihm dann auch gewisse Situationen vor und schaue mir an, wie er reagiert.

Du bist auf deiner Reise in die Figur des älteren Bruders, des Ich-Erzählers geschlüpft. War es während der Reise auch so, das du versucht hast dir vorzustellen, der, der die Hinweise auslegt zu sein, also der jüngere Bruder?

Wolfgang Popp: Nein, überhaupt nicht. Ich bin in den Rollen nie geswitcht, sondern habe mir überlegt, was er an Spuren entdecken könnte. Wenn irgendetwas in der Landschaft aufgetaucht ist, war das für mich die Idee: Jetzt könnte er dort wieder einen Hinweis hinterlassen haben, das kann der Suchende hier nicht übersehen.

Glaubst du, dass das Wissen über deine Vorgehensweise beim Schreiben die Leser beeinflusst? Man sucht ja dann vielleicht nach der Autobiografie. Hast du darüber nachgedacht?

Wolfgang Popp: Mich stört das gar nicht, weil jedes Buch zu einem gewissen Teil autobiografisch ist, und ich schlüpfe ja in die Figur hinein – ich mache da nichts anderes als jeder andere Autor auch. Und ich schreibe die Reise nicht eins zu eins ab. Ich suche mir auf der Reise gewisse Punkte, die ich dann aufnehme, es findet dann aber eine Fiktionalisierung des ganzen statt. Es sind ganze Episoden in dem Buch frei erfunden, es sind ganze Orte frei erfunden. Es ist dann nochmal die fiktionale Verfremdung nochmal so stark drüber, dass man in gewissen Fäden mich vielleicht erkennt. Das kommt bei jedem Autor vor. Es gibt das anrecherchierte Wissen, und dann gibt es eine Ebene, die als gelebter Erfahrungsschatz da ist, und ich glaube, dass sich der Autor immer aus diesen zwei Töpfen bedient.

Das gesamte Interview könnt ihr hier nachhören. Es ist der Auftakt zu meinem Podcast schreiben.hören. (Und entschuldigt bitte die heftigen Kaffeehausgeräusche im Interview. Nächstes Mal wirds besser!)

 

Euch gefällt, was ich hier auf meinem Blog poste? Das freut mich! Ihr könnt gerne mal hier im Blog einen Kommentar hinterlassen, oder mir ein paar freundliche Worte per E-Mail schicken. Außerdem freue ich mich auch sehr über ein Buch von meinem Wunschzettel. Das kann ich dann alles lesen, wenn einmal einer dieser Momente um die Ecke kommt, in denen meine Motivation und Inspiration kurz Pause machen. Danke euch fürs Lesen und Mitreden und Dasein! <3

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