Neulich habe ich bei mir ums Eck im Bücherschmaus eine Sammlung von Kurzgeschichten von H.P. Lovecraft gefunden. Die hat einen gewissen Ehrgeiz in mir geweckt, weil da groß „Cthulhu“ draufstand. In Violett, und im alten Suhrkamp-Design. Jetzt ist es so, dass ich H.P. Lovecraft nur dem Namen nach kannte. Genau wie den sagenumwobenen Cthulhu. Von dem wusste ich nur, dass er ein Monster mit irgendwelchen Tentakeln war.
Um Horror, Übernatürliches und Geister habe ich bei Filmen und in Büchern bisher immer einen Bogen gemacht – ich bin nämlich ein bisschen schreckhaft. Und ich will mich nicht fürchten, wenn ich beim Einschlafen lese. Oder im überfüllten Freibad. Es soll ja schon passiert sein, dass mir ein kleiner Schrei auskommt, wenn etwas Arges in einem Buch passiert, und wie stehe ich denn dann wieder da, bitteschön? Der Cthulhu ist mir trotzdem nicht entgangen, weil man schließlich nicht um ihn herumkommt, so als populärkultureller Mensch. Zum Beispiel in Gestalt von Davy Jones, dem Kapitän der Flying Dutchman in „Pirates of the Carribean“. Aber ich hatte bloß eine vage Vorstellung, dass dieses Wesen irgendwie mit übernatürlichen Sachen und vielleicht auch dem Weltall zu tun hat – oder war das das fliegende Spaghettimonster? Na, ihr seht schon, ich habe einfach keine Ahnung.
Aber zurück zum Buch. Ich hatte schon lang keinen Pageturner mehr auf dem Nachtkastl liegen. Bücher ohne Durststrecken sind bei mir ein Glücksfall (und welche mit Durststrecken eine Qual, weil ich es immer noch nicht gelernt habe, Bücher, die mich nicht mehr interessieren, einfach wegzulegen). Dieses Buch besteht aus sechs Kurzgeschichten, und bis auf die vorletzte ist keine über 30 Seiten lang. Sehr gut, habe ich gedacht, wenn sich eine davon zieht wie Kaugummi, kommt wenigstens schnell die nächste.
Aber was soll ich euch sagen – nirgendwo auch nur eine Spur von Kaugummi! Ich war von Anfang an begeistert von diesen mysteriösen Welten, die sich hinter versteckten Türen und Fenstern, auf Dachböden, oder in spärlich bewohnten Landstrichen aufgetan haben. Das lag auch an der Übersetzung, die H.C.Artmann geschrieben hat. Ihm ist es zu verdanken, dass ich wunderschöne Worte wie „ghoulisch“ gelernt und das Wort „Pandämonium“ wieder gefunden habe. Ohne diese Übersetzung hätte mich die Atmosphäre der Geschichten wohl nur halb so wuchtig eingehüllt.
Und noch etwas ist mir aufgefallen: Die Dramaturgie der Abfolge der Geschichten. Sie steigern sich vom kleinen Schrecken bis zur Weltbedrohung aus der Tiefe und dem Kosmos. Aber alle haben etwas gemeinsam: Dass es die Figuren zu dem Unerklärlichen und Abgründigen hinzieht, und sie mit dem, was sie da erfahren, nicht umgehen können. Insofern ist das alles natürlich auch ein gar nicht so sehr versteckter Blick in unsere eigenen Abgründe.
Besonders schön habe ich ja gefunden, dass ich hier etwas völlig Neues für mich entdeckt habe, und zwar ganz unvermutet. Weil ich zuerst so: „Naja, liest du halt mal hinein, damit du diesem Popkulturphänomen auf die Spur kommst. Kann ja nicht schaden.“ Und dann lande ich plötzlich in einer neuen Welt, die mich richtig begeistert.
So etwas passiert mir immer seltener, diese kindliche Freude an etwas, das mich so richtig fesselt. Das letzte große Mal hatte ich das, als ich die Serie „Lost“ für mich entdeckt hatte. Besonders am Ende der dritten Staffel, als sich die ganze Erzählung durch einen kleinen dramaturgischen Kniff umdreht. Da hatte ich natürlich als Filmdramaturgin auch viel Bewunderung für das Handwerk, aber „Lost“ hat es immer wieder geschafft, mich zu begeistern. (Bis auf die letzte Staffel, die war unverzeihlich schlimm. Aber naja.)
Ich weiß nicht mehr, zu welchem Anlass es war – ein Buch? Eine Serie? -, jedenfalls hat mal jemand, der diese Sache schon kannte, gesagt: „Ich beneide dich darum, dass du das alles zum ersten Mal entdecken kannst!“. Und er hatte recht. Deswegen finde ich es überhaupt nicht mehr schlimm, wenn man angeblich „wichtige“ Filme, Serien und Bücher noch nicht kennt. Wenn man Glück hat, wird man nämlich total begeistert sein und es für sich zum ersten Mal entdecken. Und das kann man durch nichts ersetzen.
Wobei mich dieser Tweet von Anke hoffen lässt, dass manche erste Male vielleicht doch wiederholbar sind…
Ich frage mich, ob das für „Voyager“ spricht, dass ich fast alles vergessen habe. Gucke die Serie erneut mit großem Genuss.
— Anke Gröner (@ankegroener) February 21, 2017
Falls ihr auch solche Entdeckungserlebnisse hattet, schreibt mir doch. Begeisterung teilen ist so eine neue Passion von mir. Aber das wisst ihr ja schon.
p.s.: Das Buch sieht in der aktuellen Ausgabe nur mehr halb so schön wie vorher aus. Aber der Inhalt ist derselbe.