früher

j. habe ich kennen gelernt, als ich 1997 als regieassistentin ans tiroler landestheater ging. eine stadt die von bergen eingekeilt ist (ojeh), ein neuer job (aufregung) und viele neue menschen. ich glaube j. kam auch in der spielzeit ans haus, als schauspieldramaturg. zehn jahre älter als ich, ein hamburger nordlicht. und irgendwie haben wir uns gleich verstanden. vor allem bei den vielen bieren nach den proben und vorstellungen. da war so ein enverständnis, das ich jetzt immer noch nicht ganz erklären kann. und es lag nicht an den vielen bieren.

das theater ist ja eine blase, ein elfenbeinturm. man hat kaum chancen menschen von außerhalb kennen zu lernen. das heißt kennen lernen geht ja noch, aber ein vernünftiges sozialleben mit denen von draußen ist quasi unmöglich. die probenzeiten sind ein wahnsinn und die arbeit auch. das können wenige von außen nachvollziehen, und deswegen hält man sich an denjenigen fest, die drinnen sind. die tage enden in der kantine, man muss runterkommen (und diejenigen, die die kantine meiden, sind oft trockene alkoholiker, denn der alkohol fließt dort in mengen, vermutlich weil sich theatermenschen auf grund der geringen gagen kein koks leisten können. zumindest ist das meine theorie).

j. und ich haben viele abende gemeinsam verbracht. wir haben philosophiert, er hat sich oft über die welt und das leben aufgeregt, und mir ist vorgekommen dass so ein blitzgescheiter mensch wie er einen anständigeren platz im leben verdient hätte. er ist mir immer verloren vorgekommen.

j. hat neben seiner arbeit als theaterdramaturg drehbuch- und romanlektorate für eine große deutsche filmproduktionsfirma geschrieben. das hat mich interessiert, und irgendwie ist in mir damals die idee gereift, dass das was für mich sein könnte. damals wusste ich noch nicht, dass ich gut fünf jahre später eine karriere als filmdramaturgin starten würde. ich mache meinen job jetzt seit fast zehn jahren und ich kann mir nichts besseres vorstellen.

in der spielzeit 1999/2000 bin ich als regieassistentin ans zimmertheater nach tübingen gegangen. j. habe ich noch einmal gesehen, als ich wenige jahre später darauf eine kleine rundreise durch deutschland gestartet habe, um die theaterfreunde von früher zu besuchen. ich kam auch durch hamburg, wo j. jetzt mit seiner freundin lebte. in der nacht hat er mit ihr in der küche gestritten, während ich auf der matratze im wohnzimmer nebenan am boden geschlafen habe. heute würde ich das als „awkward moment“ bezeichnen. am nächsten morgen ging ich mit seiner freundin im hamburger hafen frühstücken, und wir hatten ein schönes gespräch. (ich sollte endlich mal richtig nach hamburg fahren, das nehme ich mir seit jahren vor. vielleicht ist jetzt der richtige zeitpunkt dafür.)

gestern früh habe ich aus irgendeinem grund an j. gedacht. und ich habe das internet nach ihm abgesucht. ich google also seinen namen. und da steht eine todesanzeige. ich denke pragmatisch: das kann auch jemand anders sein. aber das geburtsdatum kommt hin, und es gibt zu viele indizien als dass er es nicht sein könnte. ich klappe den computer zu und gehe ins büro. den ganzen tag lässt mich der gedanke an j. nicht los. es ist ja so, dass mich das irgendwie nicht unvorbereitet trifft, und das erschreckt mich. ich habe j. immer als gratwanderer empfunden, bei dem mich das kippen in den tod nicht wundern würde, auch wenn ich das beschissen finde.

ich komme abends heim und habe nichts vor (eine schlechte idee an so einem tag) und google nochmal hinterher. jetzt bin ich mir sicher, dass die todesanzeige zu j. gehört. und ich werde so ungemein traurig und hole die alten theaterprogramme heraus, und ich lese seinen namen darin und sitze am sofa und weine. dann mache ich ein bier auf und erinnere mich an früher.

als ich letzten herbst in innsbruck war habe ich eine freundin getroffen. sie ist schauspielerin, und wir haben uns länger über j. unterhalten und erinnerungen ausgetauscht. die guten, und die schwierigen. jetzt weiß ich, dass j. schon tot war als wir uns über ihn unterhalten haben.

ich sitze also am sofa, denke an j. und trinke ein bier auf ihn. mehr fällt mir gerade auch nicht ein. außer dass es mich wundert wie tief sich manche menschen in einem eingraben, obwohl sich die wege nur so kurz überschnitten haben. und dass ich das irgendwie schön finde, auch wenn ich gerade sehr traurig bin.

j., das nächste bier ist auch noch für dich. ich habe dich nicht vergessen.

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