Weekend Writing: Kreatives Schreiben #59

Etwas Altes und etwas Neues… Die heutige Inspiration kommt von dem Fotografen Bill Cunningham. Ich freue mich schon auf eure Geschichten! Viel Spaß beim Schreiben!

Für alle, die zum ersten Mal dabei sind: Es geht darum, dass ich hier immer am Wochenende ein Foto als Schreibinspiration für eine kurze Geschichte poste. Ob ihr euch dabei an die „Regeln“ haltet, die unter dem Bild stehen, oder nicht, ist völlig euch überlassen. Es gibt auch nichts zu gewinnen, außer der Freude am Schreiben. Wenn ihr wollt, könnt ihr dann eure Texte einfach hier in den Kommentaren posten, gerne auch anonym. Ihr könnt sie aber auch einfach nur für euch in ein Notizbuch schreiben. Ich freue mich übrigens nicht nur, wenn ihr mitmacht, sondern auch wenn ihr es (im Netz) weitererzählt. Je mehr Menschen mitmachen, umso besser!

Bill Cunningham: Facades

Bill Cunningham: Facades

Hier kommt die Anleitung:

  1. Stell dir einen Timer (Küchenuhr, Handywecker…) auf 5 Minuten. Bereit?
  2. Schau dir das Foto 5 Minuten lang genau an. Die Menschen, die Körperhaltung, die Gegenstände. Was ist im Zentrum, was bzw. wer im Hinter- oder Vordergrund? Entdecke die Details, studiere die Gesichtsausdrücke. Was könnte die Geschichte zum Foto sein?
    Pling! Die 5 Minuten sind um.
  3. Stelle jetzt den Timer auf 15 Minuten. Los gehts mit dem Schreiben!
  4. Schreibe eine kurze Geschichte. Da die Zeit begrenzt ist, eignen sich Momentaufnahmen, Vignetten, Augenblicke, Kurzgeschichten, Gedankenströme besser als lange, epische, romanhafte Ansätze. Und denk nicht zu lange nach! Es geht hier weniger um den Kopf als um die Intuition.
  5. Pling! Fertig.

Achtung: Es geht hier nicht um Perfektion, sondern um den Spaß am Schreiben. Deshalb halte ich mich nach den 15 Minuten auch nur sehr kurz mit dem Umschreiben auf. Wenn ich selbst mitmache, korrigiere ich einige Formulierungen, für die mir ad hoc beim Durchlesen doch etwas besseres einfällt, aber im Großen und Ganzen lasse ich die Geschichten so, wie sie beim ersten Wurf entstehen und stelle sie eher „roh“ ins Blog.

Euch fällt nichts ein? Hier einige Fragen, die deiner Fantasie auf die Sprünge helfen können:

  • In welcher Beziehung stehen die Personen zueinander?
  • Wer hat das Foto gemacht, in welcher Beziehung steht die Person zu denen auf dem Foto?
  • Erzählt jemand etwas über die Personen auf dem Bild, oder ist eine Person vom Foto der Erzähler?
  • Wer ist die Hauptfigur, wie heißt er/sie, welchen Background hat er/sie?
  • Welche Erwartungen haben die Personen, was hoffen sie, was befürchten sie? Was sind ihre Lebensträume und Ziele? Was haben sie bereits erlebt?
  • Was ist der Konflikt, das Dilemma, das die Person gerade hat?
  • Was ist vor der Aufnahme passiert, und was passiert, nachdem der Auslöser gedrückt wurde?
  • Was oder wer steht außerhalb des Bildausschnitts?
  • Wie ist die Stimmung der Personen? Ändert sie sich in der kurzen Geschichte?
  • Wie riecht es, ist es warm oder kalt? Friert die Person, ist ihr heiß?

Wenn ihr eure Geschichte im Internet (z.B. auf eurem blog) postet, hinterlasst doch den Link hier in den Kommentaren. oder kopiert den Text in den Kommentar, gerne auch unter einem Pseudonym. Ich freue mich natürlich auch, wenn ihr diesen Artikel auf Facebook und Twitter teilt – es wäre schön, wenn so viele wie möglich mitmachen und diese Form des Weekend Writing ein Fixpunkt im kreativen Internet wird. Aber das überlasse ich der Zukunft. Jetzt geht es los – viel Spaß beim Schreiben!

Für alle WienerInnen: Ich gehe einmal im Monat zu einem Creative Writing Abend bei Barbara Stieff, wo wir uns im informellen Rahmen zum Schreiben treffen. Dabei steht das Ausprobieren und der spielerische Umgang mit Sprache im Mittelpunkt. Also kein Druck, es geht um den Spaß und den Prozess des Schreibens, wie bei dieser Übung. Wer mitmachen möchte, schreibt mir einfach eine Mail, ich leite es dann an Barbara weiter.

Für alle, die die Challenge im Internet teilen wollen: Unser Hashtag lautet #weekendwriting. Er wird bereits von AutorInnen im Netz benutzt, da passt unsere Übung gut dazu.

Comments 2

  1. „Siéntate! Coma un arroz….la casa es muy cara!“, sagte ich zu dem jungen Bauherr. Er kaufte mein baufälliges Haus, unerwarteter Weise. Ich war sehr erleichtert, endlich wieder Geld in der Hand zu haben für meine letzten Lebensjahre.
    Dann starb ich mit 97 Jahren. Man hört oft Geschichten von toten Menschen, die kein zu Hause mehr haben und herumirren. Bei mir ist das nicht so. Das Haus ist gross genug, dass ich mich in Ruhe im Raucherzimmer aufhalten kann. Der Bauherr handelte ebenfalls mit Uhren. Der Sohn des Bauherrs hat nicht den gleichen Geschäftssinn wie sein Vater. Aber ich fühle mich der Familie verpflichtet, bin eben ein loyaler Mensch, und wenn die Grosskunden in meinem Haus dinieren oder übernachten, dann halt ich ihnen oft genug die richtigen Kaufentscheidungen unter die Nase. Off the doors. U-Bahn fahren beruhigt mich. Besprayt mit den Initialen unserer Fussballclubs. Meine Brüder haben mich damals mitgenommen ins Stadion. Schliessen Sie die Augen: Sie werfen einen Hut auf den Boden und zertrampeln ihn in Kleinteile, er ist aus Stroh, dann gehen sie wieder hinunter, als Gastgeberin müssen Sie in guter Stimmung sein, niemandem fällt es auf, dass sie den Hut nicht mehr tragen. Ihr Name ist Lucia Citon.

  2. lieber Papa,

    meine Schülerin fragte mich, ob ich eher meiner Mutter oder meinem Vater gleichen würde. Ich war leicht konsterniert, denn die ganz direkte, ehrliche Antwort wäre gewesen, sie sind beide tot, daher ist es schwierig einen aktuellen Vergleich herzustellen. Aber natürlich habe ich erst nichts gesagt, eher ein bisschen lange „eh…..“. Sie schaute mich bohrend an mit ihren herausfordernden Augen. Dann stammelte ich, dass ich eine Mischung aus beiden sei. „Ach so“, war die enttäuschte Antwort. Ich spürte aber sofort, dass ich da sass wie Du, mit überschlagenen Beinen und geradem Rücken, dass ich sogar mit der ähnlich distanzierten Art dachte wie Du, und so beim Abdriften ins Vergangene, dass nur in Spuren in unseren Körpern und Seelen weitertummelt, öffnete ich wieder einmal die Kiste Deiner Verlassenschaften. Eine goldenen Herrentaschenuhr, vererbt an meinen Sohn, der meinte, dass der Grossvater ein lieber Mann gewesen sein müsse, und Deine Postkartensammlung. Diesmal bleibe ich an einer Karte hängen, die eine südamerikanische Frau zeigt, burlesk angezogen mit riesigem hellen Hut mit blumenhaft trapiertem weissen Aufsatz und einer riesigen Feder, die weit ins U-Bahnabteil reicht. Da sie generationenbedingt noch recht klein ist, reichen ihre Füsse auf der U-Bahnbank sitzend nicht bis auf den Boden, daher stützt sie sich leicht auf ihren Schirm ab mit herrischer Hand und diese Linie geht einen Bogen hinauf in das gehobene Kinn, den gehaltenen Kiefer und die eigensinnigen Augen. Sie lässt sich nichts bieten. Ich würde gerne wissen, was Du in ihr gesehen hast, warum du sie in deine Postkartensammlung aufgenommen hast. Wieder legst Du deinen Kopf auf mir ab und erzählst mit weicher Stimme. Deine Wohnung steht dahinter leer, aufgeräumt, mit dem ewig abgestandenen Zigarettenrauch, den alle deine Büros und Wohnungen ausgezeichnet haben.
    Ich muss los, lieber Papa, Grüsse, Aurelia

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