Viennale’12 – Ein Nachtrag

Jetzt sind mir gerade beim Aufräumen die Viennale-Tickets vom Oktober/November in die Hände gefallen, und ich habe mich erinnert, dass ich damals mittendrin mit den Filmkritikenschreiben hier im Blog aufgehört habe.

Denn offenbar gibt es eine eiserne Regel, und die geht so: Ein paar Tage nach Beginn der Viennale kommen auf einmal alle  umgearbeiteten Drehbuchfassungen gleichzeitig auf den Tisch (in Worten: gleich-zeit-ig), ergo Superstress, und das wars dann mit dem Fimkritikenschreiben. So einfach ist das.

Aber ein paar Filme haben sich so festgehakt, dass ich doch noch darüber berichten muss.

MEINE KEINE FAMILIE ist eine der beste Dokumentationen, die ich in letzter Zeit gsehen habe. Der Filmemacher Paul-Julien Robert erforscht gemeinsam mit seiner Mutter und Freunden von früher seine Kindheit in der Kommune von Otto Mühl am Friedrichshof (hier gibt es Basisinformationen darüber). Das besondere daran ist, dass man originales Filmmaterial aus den 1980ern sieht, auf denen der (Therapie-)Alltag am Friedrichshof zu sehen ist.

Meine keine Familie

Meine keine Familie

Lange wird nur darüber gesprochen – über die Traumata, das autoritäre Verhalten Mühls in der Kommune, die „Therapien“, und dann, am Ende, sieht man es plötzlich in bewegten Bildern, und es ist noch schlimmer als ich es mir vorgestellt habe. Mich hat der Film sehr berührt, und auch wütend gemacht, weil das noch immer ein kaum aufgearbeitetes Kapitel der österreichischen Geschichte ist, in dem es Opfer gibt, über die viel zu wenig gesprochen wird.

Und es geht natürlich um die Definition von Familie. Der Filmemacher hatte keine im herkömmlichen Sinn, da die Kinder in der Kommune von allen erzogen wurden und sehr lange nicht einmal klar war, wer die biologischen Väter waren. Einer der Männer sagt später im Film, dass das ja im Grunde angenehm war, weil keiner der potentiellen Väter Verantwortung für ein Kind übernehmen musste. Aber die Spuren, die das bei den Kindern hinterlassen hat, die sieht man hier sehr deutlich.

MEINE KEINE FAMILIE ist ein wichtiges Dokument für die österreichische Zeitgeschichte. Und ein sehr berührender Film über die Sehnsucht nach Familie und gescheiterten Utopien, den ich allen dringend ans Herz legen möchte. Es war für mich der beste Film, den ich auf dieser Viennale gesehen habe. (Hier ist ein Interview mit dem Filmemacher.)

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Und jetzt im Schnelldurchlauf:

Camille Redouble

Camille Redouble

CAMILLE RDOUBLE war die einzige Komödie, die ich gesehen habe. Das sagt ja, wenn ich mir die Anmerkung erlauben darf, auch etwas über die Programmierung des Festivals aus; aber das ist eine andere Geschichte. Ich fand den Film sehr charmant, vor allem wegen der Schauspielerin Noemie Lvovsky, die auch Regie und Buch beigesteuert hat. Camille ist auf unerklärliche Weise plötzlich wieder jung (auch wenn sie so alt aussieht wie in der Rahmenhandlung) und geht zur Schule. Ein Klassiker (quasi Bodyswitch), aber eben mit viel Charme und Originalität umgesetzt. (Was haben wir in den 1980ern für furchtbare Kleidung getragen – auch so ein Nebeneffekt des Films, dass man sich das wieder mal vor Augen führt.)

Von MARGARET haben alle geschwärmt, ich wusste um siene lange Entstehungsgeschichte (juristische Streitereien etc.), aber dann hat es mich doch nicht so vom Hocker gerissen. Obwohl die Besetzung sehr gut ist: Anna Paquin und Mark Ruffalo. Mir hat die Figur, die Anna Paquin verkörpert, gut gefallen: Immer ein wenig zu dramatisch, hat sie mich im unklaren gelassen, was ihrer fantasie und was der Realität entsprungen ist. Was gut zur Geschichte passt. Aber irgendwas hat mir dann doch gefehlt. Wenn ich mich richtig erinnere, war mir der Film zu lang, und da war noch etwas Irritierendes, das mir aber leider inzwischen entfallen ist.

DER GLANZ DES TAGES ist der zweite Film von Tizza Covi und Reiner Frimmel, und ich mochte ja den ersten schon sehr gerne (LA PIVELLINA). Hier geht es um zwei Menschen, die sich selber spielen. Der Schauspieler Philip Hochmair trifft seinen (fiktiven) Onkel Walter Saabel, einen ehemaligen Artisten und Bärenringer (ein schönes Wort, nicht wahr?). Walter hat eine lange unterdrückte Sehnsucht nach dem Meer, nach der großen weiten Welt, die er berufsbedingt nicht ausleben konnte, und die sich jetzt in Hamburg wieder auftut. Philipp hat keine so große Sehnsucht. Wohl gibt es Andeutungen über Konflikte mit dem Vater und so weiter, aber ich fand es schade, dass seine Figur nicht mehr „Fleisch“ hatte. Deswegen hat mich DER GLANZ DES TAGES auch nur so halb berührt zurückgelassen.

Und dann war da noch INORI, eine Meditation (normalerweise meide ich ja Filme, bei denen sich dieses Wort in der Beschreibung aufdrängt) über das Leben und vor allem auch das Sterben in einem kleinen japanischen Dorf, das mittlerweile beinahe unbewohnt ist. Ohne Kommentare, in langen Einstellungen beobachtet man Menschen in ihrem Alltag, der jeglicher Jugend beraubt ist, weil die Jüngeren und ganz Jungen schon alle mangels Perspektiven weggezogen sind. Eine sehr schöne Elegie.

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