Ich habe mich wieder einmal in den Bildern der Fotografin Mary Ellen Mark verloren, und kann es gerade nicht genau formulieren, was mich daran so anzieht. Aber wahrscheinlich gehören die Worte ohnehin in die Geschichte, die aus dem Bild entsteht. Daher übergebe ich die Staffel jetzt an euch – welche Geschichten fallen euch zu diesem Bild ein? (Hier gibt es übrigens noch ein gutes Interview mit Mary Ellen Mark.)
Für alle, die zum ersten Mal dabei sind: Es geht darum, dass ich hier immer am Wochenende ein Foto als Schreibinspiration für eine kurze Geschichte poste. Ob ihr euch dabei an die „Regeln“ haltet, die unter dem Bild stehen, oder nicht, ist völlig euch überlassen. Es gibt auch nichts zu gewinnen, außer der Freude am Schreiben. Wenn ihr wollt, könnt ihr dann eure Texte einfach hier in den Kommentaren posten, gerne auch anonym. Ihr könnt sie aber auch einfach nur für euch in ein Notizbuch schreiben. Ich freue mich übrigens nicht nur, wenn ihr mitmacht, sondern auch wenn ihr es (im Netz) weitererzählt. Je mehr Menschen mitmachen, desto besser!
Hier kommt die Anleitung:
- Stell dir einen Timer (Küchenuhr, Handywecker…) auf 5 Minuten. Bereit?
- Schau dir das Foto 5 Minuten lang genau an. Die Menschen, die Körperhaltung, die Gegenstände. Was ist im Zentrum, was bzw. wer im Hinter- oder Vordergrund? Entdecke die Details, studiere die Gesichtsausdrücke. Was könnte die Geschichte zum Foto sein?
Pling! Die 5 Minuten sind um. - Stelle jetzt den Timer auf 15 Minuten. Los gehts mit dem Schreiben!
- Schreibe eine kurze Geschichte. Da die Zeit begrenzt ist, eignen sich Momentaufnahmen, Vignetten, Augenblicke, Kurzgeschichten, Gedankenströme besser als lange, epische, romanhafte Ansätze. Und denk nicht zu lange nach! Es geht hier weniger um den Kopf als um die Intuition.
- Pling! Fertig.
Achtung: Es geht hier nicht um Perfektion, sondern um den Spaß am Schreiben. Deshalb halte ich mich nach den 15 Minuten auch nur sehr kurz mit dem Umschreiben auf. Wenn ich selbst mitmache, korrigiere ich einige Formulierungen, für die mir ad hoc beim Durchlesen doch etwas besseres einfällt, aber im Großen und Ganzen lasse ich die Geschichten so, wie sie beim ersten Wurf entstehen und stelle sie eher „roh“ ins Blog oder lege sie in meine Textschublade.
Euch fällt nichts ein? Hier einige Fragen, die eurer Fantasie auf die Sprünge helfen können:
- In welcher Beziehung stehen die Personen zueinander?
- Wer hat das Foto gemacht, in welcher Beziehung steht die Person zu denen auf dem Foto?
- Erzählt jemand etwas über die Personen auf dem Bild, oder ist eine Person vom Foto der Erzähler?
- Wer ist die Hauptfigur, wie heißt er/sie, welchen Background hat er/sie?
- Welche Erwartungen haben die Personen, was hoffen sie, was befürchten sie? Was sind ihre Lebensträume und Ziele? Was haben sie bereits erlebt?
- Was ist der Konflikt, das Dilemma, das die Person gerade hat?
- Was ist vor der Aufnahme passiert, und was passiert, nachdem der Auslöser gedrückt wurde?
- Was oder wer steht außerhalb des Bildausschnitts?
- Wie ist die Stimmung der Personen? Ändert sie sich in der kurzen Geschichte?
- Wie riecht es, ist es warm oder kalt? Friert die Person, ist ihr heiß?
Wenn ihr eure Geschichte im Internet (z.B. auf eurem Blog) postet, hinterlasst doch den Link hier in den Kommentaren. oder kopiert den Text in den Kommentar, gerne auch unter einem Pseudonym. Ich freue mich natürlich auch, wenn ihr diesen Artikel auf Facebook und Twitter teilt – es wäre schön, wenn so viele wie möglich mitmachen und diese Form des Weekend Writing ein Fixpunkt im kreativen Internet wird. Aber das überlasse ich der Zukunft. Jetzt geht es los – viel Spaß beim Schreiben!
Für alle WienerInnen: Ich gehe einmal im Monat zu einem Creative Writing Abend bei Barbara Stieff, wo wir uns im informellen Rahmen zum Schreiben treffen. Dabei steht das Ausprobieren und der spielerische Umgang mit Sprache im Mittelpunkt. Also kein Druck, es geht um den Spaß und den Prozess des Schreibens, wie bei dieser Übung. Wer mitmachen möchte, schreibt mir einfach eine Mail, ich leite es dann an Barbara weiter.
Für alle, die die Challenge im Internet teilen wollen: Unser Hashtag lautet #weekendwriting. Er wird bereits von AutorInnen im Netz benutzt, da passt unsere Übung gut dazu.
Euch gefällt, was ich hier auf meinem Blog poste? Das freut mich! Ihr könnt gerne mal hier im Blog einen Kommentar hinterlassen, oder mir ein paar freundliche Worte per E-Mail schicken. Außerdem freue ich mich auch sehr über ein Buch von meinem Wunschzettel. Das kann ich dann alles lesen, wenn einmal einer dieser Momente um die Ecke kommt, in denen meine Motivation und Inspiration kurz Pause machen. Danke euch fürs Lesen und Mitreden und Dasein! <3
Comments 3
Auf der Brücke in Lourdes, paar Stunden sitzen, Ströme von Menschen, allein, gemeinsam, gruppiert, eine viel befahrene Strasse hinaus, rechts ein Hotel, Autobusse, ein trostloses Hotel ausserhalb, die Dusche schimmelig, Fieber mit Aspirin, nicht Ausrutschen allein in der Dusche, aus der Hand gelesen, Baguette mit Käse schmilzt, Aprilsonne und dann Regen, eine Maske, eine Maria, Souvenirladen an Souvenirladen, modriger Menschengeruch, gemischt mit regenfeuchtem Gewand, säuselndes Singen, aschgraue Suppe, freudloser Ort.
Ihre Augen waren grün, die Haare schwarz, Du bist eine von uns, sagten, die aus den Händen lesen, Zigeunerkinder wuschen ihre Autoscheibe, vier Kinder hatte sie.
Heute, Männer tragen Säcke voll Spendengeld, abgegeben bei den Grotten und bei den Kapellen und den Eingängen, die Nonnen mit Kopftüchern nähen die Banner für die grossen Messen der Männer.
Ihnen bleibt die Brücke, vor zwanzig Jahren paar francs und jetzt paar Euros, nichts hat sich verändert, eine bettelnde Frau, Ströme, Armut und Mittelstandstourismus.
Author
Danke für deine Geschichte, Aurelia! Finde ich sehr spannend, wie du die Verbindung zu Lourdes hergestellt hast.
ich nehm immer die erste idee und schreib drauf los.
mag diese aufgabenstellung des spontanen schreibens. gibt eh so viel konstruiertes. hab jetzt entdeckt, dass tucholsky ein pyreeneäenreisebuch geschrieben hab. ich mag tucholsky gerne, werde es nun suchen, das buch.