Gestern habe ich mit den Teilnehmerinnen meines Workshops „Hollywood Tools für Storytelling und Marketing“ am Anfang zur Auflockerung eine kreative Schreibübung gemacht. Aus einer Menge alter Fotos, die ich am Flohmarkt gekauft habe, habe ich jede eines auswählen und eine Geschichte dazu schreiben lassen. Hier ist das Foto, das ich ausgewählt habe, und die Geschichte dazu:
Also, ich bin die Anna. Und ich komme aus Hallein. Aber das wissen Sie ja schon. Jedenfalls, vorgestern, da wollte ich mit dem Hans auf den Untersberg, aber wir sind ein bisschen spät weggekommen. Dabei hab ich ihm noch extra gesagt wir müssen früh rauf, weil am Feiertag immer so viel los ist.
Beim Aufstieg ist es dann auch ziemlich heiß geworden. Wir sind aber zügig gegangen und haben einige Wanderer überholt. Ziemlich weit oben wollte ich eine Pause machen, wegen dem schönen Panorama. Der Hans hat seine Kamera herausgeholt und ich hab mich hingestellt. Nach dem ersten Foto hab ich mich kurz umgedreht und die Berge angeschaut. „Meinst nicht, quer wärs besser, wegen der Landschaft?“ habe ich zum Hans gesagt. Und als er nicht geantwortet hat, drehe ich mich um, und da war er weg. Ich meine, richtig weg, wie vom Erdboden verschluckt! Und da hab ich Angst bekommen, ich meine, stellen Sie sich das mal vor, grad war er noch da, und plötzlich…
Entschuldigung, es geht gleich wieder…
Ich bin dann an den Platz gegangen wo er gerade noch gestanden ist. Ich hab ja nichts gehört, also keine Geräusche, keine Schritte – nichts. Wir waren mitten auf dem Plateau, es hat da auch keine Möglichkeit gegeben, wo abzustürzen. Ich habe ihn gerufen, immer wieder, aber er hat nicht geantwortet.
Ob mir etwas Besonderes aufgefallen ist? Jetzt wo Sie’s sagen – also mir ist aufgefallen, dass genau dort, wo er gestanden ist so ein markante Quarzader im Stein war, die genau wie ein Vogelfußabdruck ausgesehen hat, aber richtig groß, ungefähr so lang wie mein Unterarm.
Kurz danach ist ein Wanderer vorbeigekommen, und ich habe ihn nach dem Hans gefragt. Und der hat ihn ein Stück weiter unten neben dem Weg sitzen sehen. „Der schaut ned guat aus“ hat er noch gemeint, und ich bin gleich runter. Und da ist der Hans dann auf einem Stein neben dem Weg gesessen, total blass, als hätt er gerade den Leibhaftigen gesehen. Er hat gar nichts gesagt und durch mich durchgeschaut, als wäre ich nicht da. Ich habe ihn wieder und wieder angesprochen. Irgendwann hat er mich dann doch direkt angesehen und nur gesagt „Das Tor“ – immer wieder. Ich habe ihn dann hinunter geführt ins Tal und bin mit ihm hierher in die Klinik.
Er wird doch wieder, mein Hans? Es wird alles wieder wie früher, gell Herr Doktor?“
(Aus dem Gesprächsprotokoll mit Anna W. vom 15. August 1950, aufgezeichnet im Institut für Zeitphänomene am Landesklinikum Salzburg, Raum 023a, um 18:30h. Zugehörig: Beweisstück 16-F4: Filmrolle, belichtet. Gezeichnet: Dr. Alfons Kurz)