Event: TV Motion

Die Idee zu der Veranstaltung TV Motion entstand letzten Sommer, weil ich bemerkt hatte, wie schwierig es ist, die aktuelle Senderstrategie für die Fiction-Slots herauszufinden. Wenn man nicht gerade an einem Projekt arbeitet, bei dem man auch abseits der aktuellen Arbeit mit den RedakteurInnen ins Plaudern kommt, tappt man da schlichtweg im Dunkeln.

Aus meiner Idee ist binnen einiger Monate mit Hilfe von Sandra Bohle (Drehbuchforum), der Satel Privatstiftung und des Wiener Filmfonds ein Konzept entstanden, das in einem zweitägigen Symposium resultiert ist. Und weil ich denke, dass das auch von allgemeinem Interesse ist, kommt hier eine kleine Zusammenfassung. (Dafür bitte auf „mehr“ klicken!)

Bevor ich zu den Details komme, kann man vielleicht zusammenfassend feststellen, dass sich alle in einem Punkt einig waren: Das Fernsehen ist bereits erfunden. Und die Autoren werden definitiv nicht aufgefordert das zu ändern. Fernsehen ist nun mal für die meisten ZuseherInnen ein Gewohnheitsmedium, das bedienen Genres und Formate. Dafür muss man innerhalb der Format- und Genregrenzen kreativ werden, Höhen und Tiefen ausreizen und alle Möglichkeiten ausschöpfen.
Ein weiterer Punkt: Es zeichnet sich gerade offenbar allerorts ab, dass ZuseherInnen in Krisenzeiten offenbar eskapistischer veranlagt sind als ohnehin schon. Graue, düstere und pessimistische Stoffe finden weniger Anklang.
Weiters: Das Nachahmen von amerikanischen (Serien-)Vorbildern funktioniert überhaut nicht.
Und was das Internet betrifft: Man beschäftigt sich natürlich damit, vor allem im Marketingbereich (Pro7 hat für einen bestimmten Film sogar Webisodes produziert, die vor der Ausstrahlung des eigentlichen Films im Netz gezeigt werden), aber da noch niemand herausgefunden hat, wie man das finanzieren kann, kommt man da noch nicht so recht weiter.
Jetzt aber zu den Vortragenden.

Caroline von Senden, ZDF:

Sie stellt zunächst den „Apparat“ ZDF vor. Der ist groß, manche Redaktionen überschneiden sich, und es gibt zahlreiche Amtswege zu bestreiten, auf denen die Stoffe immer wieder geprüft werden. Dafür ist dieser Prozess sehr gründlich, und der Stoff muss sich wirklich bewähren. Gleichzeitig setzen sich die RedakteurInnen auch wirklich für die Stoffe ein. Es gibt folgende Slots, innerhalb derer teilweise dieselben Sendeplätze von verschiedenen Redaktionen betreut werden, Bsp. Samstagskrimi, der je nachdem bei Unterhaltung Wort, Reihe und Serie, und Fersehfilm 1 bzw. 2 liegt (Anm.: Das hat mich selbst auch ein bisschen verwirrt, aber nun ja):

Hier ein kleiner Überblick über das Programmschema, von mir geordnet nach Wochentagen:

Mo-Fr 16.15: Telenovela
Mo 20.15h: Fernsehfilm der Woche
Mo 0.15h: Kleines Fernsehspiel
Di, Do-Sa 19.25h: Serie
Mi 19.25h: Vorabendserie
Mi 20.15h: Aktenzeichen XY
Do 20.15h: Serie
Fr 20.15h: Freitagskrimi
Fr 21h: Krimireihen
Sa 20.15h: Samstagskrimi
So 20.15h: Großer Sonntagsfilm
Eventfilme/Mehrteiler werden So/Mo oder Mo/Mi um 20.15h ausgestrahlt.
Daneben gibt es noch Kinokoproduktionen und Miniserien.

Noch ein Zusatz zu den Mehrteilern und Eventfilmen: Diese werden teilweise als „amphibische Filme“ gedreht, d.h. als TV-Zweiteiler, der in einer gekürzten Version in Spielfilmlänge dann im Kino gezeigt wird (John Rabe ist ein Beispiel). Ob sich das bewährt, muss man erst sehen.

Die Aufteilung dieser Sendeplätze unter den Redaktionen ist ganz schön kompliziert, finde ich. Dafür kann ein Stoff auch mal über die verschlungenen Wege doch durchkommen, wenn er an einer Stelle nicht für gut befunden wurde, aber an anderer Stelle einen glühenden Verfechter findet.

Was Frau von Senden ganz deutlich herausstrich: Dass Autoren erfolgreich ohne Produzent einen Stoff einreichen, führt fast nie ans Ziel. Der sicherere Weg führt immer über einen Produzenten.

Heinrich Mis, ORF:

Der ORF entwickelt im Unterschied zu den anderen Sendern auch immer wieder selbst Stoffe und holt sich für die Umsetzung dieser Bücher dann nur mehr einen ausführenden Produzenten dazu.

Die Zielgruppe ist 12-49, bei ORF 1 auch jünger (12-29).

Und es gibt sie noch, die österreichischen Stoffe. Aber der ORF muss aus finanziellen Gründen immer stärker überlegen, ob man es sich leisten kann, eine Serie oder einen 90minüter selbst zu finanzieren. Denn bei einer Koproduktion, die eventuell auch noch Förderung vom RTR bekommt, muss man nur 25% der Kosten übernehmen, und daher sind die rein österreichischen Projekte in der Minderheit.

Wichtig ist Genretreue. Auch hier war der Tenor, dass man sich nichts vormachen braucht: Das Fernsehen ist bereits erfunden. Innerhalb der Genres gibt es aber durchaus Möglichkeiten, die man kreativ nutzen kann und soll.

Ein sehr wichtiges Thema ist „Identität“. Österreichisches funktioniert meistens gut (Beispiel u.a. „Trautmann“). Themen sind z.B. Zivilcourage oder das Kratzen an Behörden und Ämtern. Eine eigene Identität aber bei österreichisch-deutschen Koproduktionen zu bewahren, ist immer wieder ein Kampf (Anm.: Ja, das erlebe ich auch so.)

Auf Mehrteiler setzt man wegen der schlechten Wiederholbarkeit eher nicht mehr, dann schon lieber auf einen Eventfilm, der bis zu 120 Minuten lang sein darf.

Gesucht werden u.a. 25 minütige Formate (Sitcom/Comedy), aber keine Telenovelas/Dailysoaps (teuer, schlechte Erfahrungen).

Wolfgang Oppenrieder, PRO7:

Pro7 ist in der Zielgruppe von 14-29 Jahren Marktführer und damit der jüngste Sender. Zugkräftige Titel sind Galileo, die Simpsons, Top Models und Stefan Raab, und die ZuseherInnnen haben amerikanische Sehgewohnheiten. Damit hat man schon ein klares Bild, wie der Tonfall des Programms ist.

Aber: Nachahmungen des Amerikanischen funktionieren nicht.

Was funktioniert außerdem nicht? Was die Genres betrifft: Bitte keine klassischen Krimis, denn die funktionieren bei einem älteren Publikum und man erwischt die eigene Zielgruppe nicht. Und bezüglich der Dramaturgie sollte es eine klare Handlung geben. Der Zuseher will offenbar – nicht nur wegen der Werbepausen – jederzeit ein- und aussteigen können.

Bewährt hat sich dabei das Schema der einfachen Heldengeschichte (sprich: Heldenreise).

Gesucht werden Komödien, Thriller und Eventgeschichten (Katastrophenfilme)

Figuren und Tonfall: Der Held muss jung sein. O-Ton Hr. Oppenrieder: Sobald der Held/die Heldin verheiratet ist und einen Hund hat, ist die Geschichte was für die Kollegen bei Sat.1. Die Figuren sollten aus dem realen Leben kommen, dann dürfen die Geschichten aber durchaus auch spekulativ werden, d.h. die Fernsehfilme bei Pro7 sind immer ein wenig over the top. Und die Liebesgeschichte darf nicht vergessen werden. Ensemblegeschichten haben sich nicht bewährt und sind daher nicht erwünscht.

Im Augenblick setzt man auf das Konzept der TV Movie Editionen, das sind quasi „Reihen“ aus Einzelfilmen, die einen ähnlichen Tonfall und das gleiche Genre haben, und es wird auch das Genre Mystery bedient. Wichtig dabei: Man hat deutsche Mythen als Ausgangspunkt genommen, und damit das klassische Mysterygenre bedient. Man hat sich auch an Chick Flicks versucht (junge Frauen beim Kampf in der Berufswelt), hat dabei aber gemerkt, dass die Liebesgeschichten nicht zu kurz kommen dürfen.

Ein Nachsatz noch zur aktuellen Situation von Pro7/Sat.1: Der Umzug von Sat.1 nach Unterföhring wird es mit sich bringen, dass es eine Zentralredaktion gibt. Die Redakteure arbeiten zwar weiterhin für ihre Sender und Abteilungen, wenn einem Pro7 Redakteur aber dann ein guter Stoff unterkommt, in dem der Held verheiratet ist und Haustiere hat, kann er ihn gleich im selben Haus an den Kollegen von Sat.1 weiterreichen.

Patrick Simon, SAT.1:

Patrick Simon stellt zunächst den Zugang des Senders zum Arbeitsprozess vor. Er sieht sich und die Redakteure als Partner der Autoren und plädiert stark dafür, dass die Autoren selbst nicht nur mit einem guten Konzept zu ihm kommen, sondern auch schon in Allianz mit einem Regisseur oder Produzenten. Gearbeitet wird daher auch oft mit kleinen kreativen Units und eher kleinen Produktionsfirmen.

Wichtig scheint ihm zu sein, dass die Autoren eine starke Vision ihres Projektes haben, das allerdings auch natürlich kompatibel mit den Vorstellungen des Senders sein soll. Kurz: Man sollte dieselbe Sprache sprechen, damit das Projekt erfolgreich bei Sat.1 landen kann.

Zur Verdeutlichung: 2008 wurden 3000(!!) fiktionale Konzepte bei Sat.1 eingereicht. Das zeigt, wie wichtig es ist, dass man den USP seines Projektes kennt und herausarbeitet, bevor man es zum Sender schickt.

Die Filme sollten eher plot- als characterdriven sein.

Genres, die gesucht werden, sind: Family Adventure; Fantasy RomCom; Umwelt/Klima/Ressourcenthemen. Im Bereich Thriller gibt es zwei Formen: „It could happen to you“ und „Personal Revenge“.

Und was wird nicht gesucht? Auch hier gibt es eine klare Ansage: Mystery, Horror, Psycho und Sozialdrama. Auch von der klassischen Romantic Comedy, die durch Sat.1 vor vielen Jahren überhaupt erst hochgebracht wurde, hat man sich ein wenig abgewendet, weil man selbst im eigenen Sender eine „Monokultur“ geortet hat, da man das Genre überstrapazierte.

Barbara Thielen, RTL:

Barabra Thielen stellt zunächst die Senderstruktur vor. Es gibt 4 TV Movie Redakteure und doppelt so viele für den Bereich Serie. Die Zuseher sind im Kern zwischen 29 und 49, tendenziell eher Frauen. Abiturienten und Menschen mit Hochschulabschluss findet man darunter kaum.

Barbara Thielen plädiert dafür, die Ideen als kurze Konzepte und Exposés einzureichen, mit folgendem Argument: Was  auf 4 Seiten nicht zu schreiben ist, ist auch auf 30 Seiten nicht zu schreiben. (Anm.: Damit gehe ich d’accord, vor allem was Fernsehkonzepte betrifft, die in 90% der Fälle keine allzugroße Komplexität haben können. Und für die restlichen 10% der Geschichten und für die meisten Kinostoffe ist es trotzdem eine gute Übung, sie auf 4 Seiten überzeugend zusammenfassen zu können.)

Obwohl auch bei RTL die Meinung vorherrscht, dass das Kopieren amerikanischer TV Serien nichts bringt, versucht man dennoch von ihnen zu lernen. Man hat herausgefunden, dass es den deutschen Serien seit langem an Folgendem mangelt: Hoher Unterhaltungsfaktor, gute und interessante Figuren, und bei Krimis und teilweise bei Arztserien: interessante Fälle. Man will daher auf alle Fälle weg von den „grauen“, tristen Serienkonzepten, und man sucht nach einer gewissen Leichtigkeit.

Bei Serien wird oft erstmal ein Pilot gedreht, dann wird entschieden. Grundsätzlich wird aber nur mehr gedreht, wenn die Drehbücher bereits fertig entwickelt sind.

Bleiben wir bei den Serien: Was zur Zeit gut läuft sind (immer noch) Alarm für Cobra 11 und jetzt auch Doctor’s Diary. AutorInnen sollten sich die Frage stellen: Was passt zu Cobra 11? Und was passt zu Doctor’s Diary? Damit ist aber auf keinen Fall gemeint, dass man nun dutzende Konzepte für Serien mit lustigen Ärzten an RTL schicken soll – denn Doctor’s Diary wurde ja bereits erfunden. Man sucht vielmehr Konzepte, die im Tonfall zu den beiden genannten passen, um im Umfeld dieser Sendeplätze ein ähnliches Publikum zu erreichen. Der angestrebte Marktanteil bei Serien ist übrigens 17%.

Horizontalen Erzählweisen steht man skeptisch gegenüber, es wird dafür plädiert, dass auch bei Arztserien ein „Fall“ pro Episode „gelöst“ wird, während die großen Figurenbögen durchaus über mehrere Episoden gehen dürfen. Reine Figurenbögen sollten maximal 30-40% der Plots einnehmen (Anm.: Diese Tendenz beobachte ich bei allen Sendern).

Auch für Barbara Thielen ist es wichtig, den USP des eigenen Konzepts zu kennen, auch bei Comedy.

Der TV Movie Sendeplatz ist bei RTL besonders schwierig zu bestücken (ja, das weiß ich aus eigener leidvoller Erfahrung). Denn es ist Sonntag um 20.15h, also eine Zeit, in der zwar sehr viele Leute fernsehen, aber die meisten davon Tatort oder Pro7 Blockbuster anschauen. Trotzdem erwartet man einen Marktanteil von 20-25(!)% in der Zielgruppe von 14-49. (Anm.: Wie man die 25% gegen den Tatort schaffen soll, ist mir persönlich ja ein völliges Rätsel…).

Eben wegen der Konkurrenz zum Tatort und zu den Pro7 Blockbustern setzt man auf klare Genres, wobei alle eigenproduzierten Filme auf dem Sendeplatz Eventfilmcharakter haben. Abenteuerfilme und Katastrophenfilme sind erwünscht, von Krimis und Thrillern nimmt man derzeit Abstand. Komödien werden auch entwickelt, wenn sie einen sehr speziellen Mehrwert haben. Auf alle Fälle muss der Film einen hohen Unterhaltungsfaktor haben.

FAZIT:

Die Veranstaltung hat genau das gebracht, was ich mir erhofft hatte: Viel aktuelle Information aus erster Hand, und dem Feedback der anwesenden AutorInnen nach zu schließen war das auch durchaus motivierend, weil man jetzt besser einschätzen kann, was zu wem passt. Natürlich regten sich auch Ressentiments (wozu Dramaturgen, wozu Redakteure, weshalb traut man sich nichts etc.pp.), aber dazu denke ich persönlich: Wer das alles so entsetzlich findet, muss ja nicht fürs Fernsehen arbeiten oder versucht sein Glück bei den anspruchsvolleren Nischen (z.B. Kleines Fernsehspiel).

Mir macht meine Fernseharbeit jedenfalls nach wie vor Spaß, genau so wie sie ist. Und dass ich mich innerhalb enger Genre- udn Formatkorsette bewegen muss ist für mich ja schon seit jeher ein reizvolle Herausforderung und keine leidvolle Einschränkung. Und jetzt macht mir das Ausdehnen der Genre- und Formatgrenzen sogar noch ein bisschen mehr Spaß, weil ich bezüglich mancher Einschätzungen nicht mehr im Trüben fischen muss.

Comments 2

  1. Hi Ines! congrats zur spannenden Initiative und zur ausführlichen Protokollierung! es scheint sich aber seit meinem letzten Besuch beim Berliner scriptforum (19XX) nicht viel geändert zu haben. viele der oben zitierten Herr- und Frauschaften hatten schon damals teilweise wortgleich ihre jeweiligen Slots beschrieben/verteidigt/abgegrenzt. da sollte es unsereins doch gelingen, mal was Adäquates zu launchen ;-)
    bis bald!

  2. Post
    Author

    Hi Alexander, Danke! Ja, das ist mir auch aufgefallen – teilweise haben sich nichtmal die Menschen geändert, und das Ringen um TV gerechte Stoffe ist eh auch immer noch dasselbe. Auf der Drehbuchforum Homepage http://www.drehbuchforum.at findest du mittlerweile übrigens ein noch ausführlicheres Protokoll, u.a. auch von der Podiumsdiskussion, die ich hier nicht zusammengefasst habe.
    Und wegen dem Launchen von was Adäquatem: Nur zu, nur zu! Bis bald!

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