Virtual Reality abseits von Games

Vrei - Virtual Reality Lounge

Vrei – Virtual Reality Lounge

Jetzt ist es ja so, dass ich letzte Woche die Zukunft erlebt habe. Also virtuell, aber trotzdem am eigenen Leib. Ich war nämlich mit Freunden das erste Mal im vrei, Wiens erster Virtual Reality Lounge. Abgesehen davon, dass es dort an der Bar unter anderem das gute Tegernseer Bier gibt, kann man verschiedene Virtual Reality Technologien ausprobieren.

Dazu die Backstory: Für mich geht mit Virtual Reality ein Kindheitstraum in Erfüllung. Ich wollte nämlich immer in den Welten leben, in denen die Geschichten aus meinen Kinderbüchern spielten. Als ich klein war gab es dafür nur eine Lösung: Augen zu und Kopfkino an. Ich bin damals vor dem Einschlafen mit Quintus durch das antike Rom gelaufen, habe mit Hannibal die Alpen überquert oder mit dem Weißen Wolf Abenteuer erlebt. Als Erwachsene ist mir das dann abhanden gekommen, aber ich habe mir immerhin als Filmdramaturgin einen Beruf ausgesucht, in denen es um das kreative Erschaffen von (meist) fiktionalen Welten geht. Und als Autorin liegt mir auch viel daran, eine möglichst immersive Atmosphäre zu kreieren. Es hat mir echt Spaß gemacht, das zum Beispiel beim Runtastic Storyrun „Momente, die bleiben“ auszuloten. Das Erleben von Geschichten war und ist immer meine größte Leidenschaft, egal ob im Beruf oder privat.

Virtual Reality interessiert mich deshalb schon länger. Ich konnte es in Zusammenhang mit 360 Grad Videos bereits letztes Jahr mit der Samsung GearVR testen, als ich für die Österreich Werbung ein Konzept für die aktuelle Sommerkampagne geschrieben habe. Aber richtige Virtual Rreality Erlebnisse wie mit der Oculus Rift hatte ich noch nie. Bis zum Donnerstag Abend letzter Woche.

Das vrei ist sowieso ein toller Ort, aber mein Glück war, dass ich dort zufällig ein paar Bekannte getroffen habe. Die haben mir als erstes die Samsung Gear aufgesetzt und mir die Navigation erklärt. Und dann musste ich auf Zuruf eine Bombe entschärfen. Aber Fun Fact: Ich spiele sonst bloß die klassischen „Pausenspiele“ am iPhone und habe kaum Erfahrung mit Videogames. Vielleicht liegt es daran, dass mich das Bombenspiel nach wenigen Minuten zum nervlichen Wrack gemacht hat? Zum Runterkommen habe ich mir danach auf der Gear den Cirque de Soleil Film angesehen. Und gleich noch ein Fun Fact: Einmal habe ich mich dabei kurz „entkörpert“ gefühlt, als ich mit einem Freund gesprochen habe, der links von mir saß, ich aber in der Brille gleichzeitig in eine Zirkusarena geblickt habe, wo neben mir natürlich niemand saß. Hätte ich Kopfhörer aufgehabt, wäre mir das wahrscheinlich nicht so stark aufgefallen.

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HTC Vive – The Blu

Das eigentliche Erlebnis waren dann aber meine zehn Minuten mit der HTC Vive. Ich habe mir bewusst kein Ballerspiel ausgesucht, weil ich das Atmosphärische, das Beobachten und Erforschen lieber mag. Deshalb ging es für mich ab unters Wasser, wo ich einem majestätischen Blauwal und einem riesigen Schwarm leuchtender Quallen begegnet bin. Ich stehe also im Wasser herum, schaue den Fischen hinterher, und plötzlich legt sich ein Schalter in meinem Kopf um und ich bin tiefenentspannt. Das Erlebnis war so immersiv, dass es fast eine Woche später immer noch nachhallt.

Diese Minuten unter Wasser haben mich zum Nachdenken gebracht – vor allem darüber, dass ich in vielen Artikeln zu Virtual Reality immer etwas über Videogames und manchmal auch noch etwas über Filme lese. Selten steht da aber etwas über das bloße Eintauchen und Herumwandern in einer virtuellen Welt. Dabei halte ich gerade das für eines der größten Potentiale der VR Technologie. Beispiel: Angenommen ich hatte einen beschissenen Tag und bin gerade sehr dünnhäutig. Dann würde ich kurz in meinen virtuellen „safe place“ abtauchen, um mich zu entspannen. Wie wäre es, wenn man sich ihn selbst kreieren könnte, und wenn man sogar verschiedene hätte, für unterschiedliche Stimmungen? Hat ja schließlich nicht jeder Lust auf Blauwale.

Was ich hier beschreibe ist eigentlich nichts anderes als die Idee des Holodecks aus Star Trek. Dieser „recreational use“, bei dem es einfach nur um Mood Management in Richtung Entspannung geht hat für mich ein riesiges Potential. Und zwar nicht nur ein quasi „therapeutisches“, sondern auch ein kommerzielles. Denn in der Entertainmentbranche gibt es bereits genügend Welten mit einer riesigen Fanbase. Ein bisschen Spazierengehen (und vielleicht dann auch Bogenschießen) mit Katniss Everdeen im Wald? Ein wenig in Kings Landing oder auf Castle Black abhängen? Nach dem Mittagessen durch Hogwarts schlendern? Läuft. Klar kann man aus all dem Actionspiele machen. Aber ich gehöre zu den Leuten, die dazu meistens keine Lust haben. Jetzt weiter gedacht: Am tollsten wäre es eigentlich, wenn ich während des Spazierengehens nahtlos in unterschiedliche „Aktivierungsgrade“ schalten kann. Ich spaziere also durch den Wald, lausche den Vögeln, winke Katniss Everdeen zu. Und wenn ich dann doch Lust auf mehr habe, schalte ich einen Gang höher und bestehe mit Katniss ein Abenteuer. Oder ich steige gleich von Anfang an in eine Mission ein und befinde mich in einem richtigen Game.

Wobei natürlich das Marktpotential außerhalb von Games längst erkannt wird, vor allem in 360 Grad Bereich. Es gibt da viele spannende Beispiele im Journalismus und in der Tourismusbranche. Aber dort reden wir eben dezidiert über 360 Grad Videos, und nicht über Virtual Reality Erlebnisse mit Interaktion.

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Virtual Reality Meetup Vienna

Und jetzt noch ein Wort zu Film und VR. Ich merke es an mir selbst, dass ich als klassische Filmdramaturgin bisher eher so über Film und VR nachgedacht habe: „Wie kann man die Gesetze der filmischen Dramaturgie und des Filmerzählens auf VR umlegen?“ Mir ist aber schon bei letzten VR Meetup aufgefallen, dass sich das wahrscheinlich nicht ausgehen wird. Inzwischen bin ich sogar überzeugt davon, dass das mit dem Umlegen von Filmerzählen auf VR schon im Ansatz falsch gedacht ist. VR funktioniert nämlich in vielen Elementen so grundsätzlich anders (vom Schnitt über die Kamera bis hin zur Empathie mit den Charakteren und der Verbindung mit dem Zuseher, der ja meistens auch Akteur ist), dass ich es besser fände, radikal neu zu denken.

Ich habe noch keine Ideen, wie das Storytelling in VR konkret aussieht, aber ich glaube, dass wir uns für das Erzählen mit der VR Technologie Prinzipien aus dem Gaming aneignen werden, unter anderem was die Interaktion des Zusehers mit der Geschichte betrifft. Und wir werden den klassischen Draamturgiebegriff über Bord werfen müssen, vor allem was Struktur betrifft. Denn die bestimme ich ja bei VR immer wieder selbst. Genau diese neuen Möglichkeiten des Erzählens finde ich aber extrem spannend, und ich hoffe, dass sich da bald neue Projekte auftun.

Leider treffe ich aber bei den VR Veranstaltungen hier in Wien selten Menschen aus der Filmbranche. Das ist mir schon vor längerem beim Thema „Transmedia Storytelling“ aufgefallen. Und jedesmal frage ich mich: Was bitteschön ist denn da los? Ich finde das echt schade, und es ärgert mich. Gleichzeitig habe ich bei diversen Meetups inzwischen so viele interessante Menschen aus anderen Bereichen kennen gelernt, dass ich durch Kollaborationen mit denen vermutlich schneller an Projekte komme als in meiner Filmbranche. Mir solls recht sein – Hauptsache wir packen es an.

Wer mir auf Snapchat folgt (mein Snapname ist ineshae), kennt übrigens einige dieser Gedanken schon. Für alle, die nicht auf Snapchat sind: Ihr könnt meinen Snapstorm hier ansehen:

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Creative Mornings Vienna

Interessanter Zufall übrigens, dass ich am Tag nach meinem Virtual Reality Erlebnis im vrei zu einem Creative Mornings Vortrag mit Konstantin Mitgutsch gegangen bin, wo es um Spiel und Realität ging. Ein Aspekt dabei war, dass wir das Spielen gerne dazu benutzen, um Realität zu kopieren. Er nennt das den „Teddybear Complex“. Das passt ganz gut zu dem, worüber ich weiter oben nachgedacht habe.

Am Ende noch eine Fußnote: Nach Konstantin Mitgutschs Vortrag kam aus dem Publikum die Gretchenfrage nach dem Eskapismus. Jetzt bin ich ja keine Games-Expertin, aber ich habe früher mal was mit Medien studiert und dachte erstaunt „Was, darüber diskutiert man immer noch?“. Meine Antwort: Fuck yeah, Eskapismus rulez! Es ist für mich die beste Form, meine Batterien aufzuladen. Stress habe ich im Alltag immer wieder genug, die gesellschaftliche Realität fühlt sich für mich momentan oft eher beängstigend an, und nebenbei lade ich mein Hirn ständig mit Informationen auf (ich bin ein sehr neugieriger Mensch, und die meisten davon sind wirklich nützlich). Einfach mal abzuschalten und das alles draußen zu lassen ist eine wirklich geniale Sache. Und wenn es dann auch noch so immersiv passieren kann wie meine Begegnung mit dem Wal unter Wasser – hell, yes! Ich freue mich jedenfalls auf alle Eskapismen, die die virtuelle Realität meiner Zukunft für mich bereit hält.

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