#weekendwriting 6: Meine Geschichte

Na, habt ihr auch bei der Weekend Writing Challenge mitgemacht? Hier ist meine Geschichte:

Foto von Arthur Siegel

Foto von Arthur Siegel

Die Untiefen

Noch ein prüfender Blick auf die Strümpfe – fertig. Michael sah den Fotografen an. Der nickte und bedankte sich. Nachdem sich der Fotograf mit seiner ganzen Ausrüstung durch die Türe bugsiert hatte, atmete Michael durch. Er stellte das Mannequin ins Eck und zog das Notizbuch aus seiner Tasche.

  1. Türe aufhalten
  2. Mantel abnehmen
  3. Stuhl hinschieben, dann erst selbst setzen
  4. Für beide Essen bestellen
  5. Smalltalk

Er ging alle Punkte nochmal durch und lächelte – schon als Kind war er gut im Auswendiglernen gewesen, das kam ihm jetzt zu gute.

Um Punkt 20 Uhr stand er vor dem Restaurant. Mit dreizehnminütiger Verspätung fuhr ein Taxi vor, und sie stieg aus. Iris war etwas größer als das Mannequin. Aber das machte nichts. Er hielt ihr die Türe auf, nahm ihr den Mantel ab, schob ihr den Stuhl hin. Bis jetzt ging alles nach Plan.

Der Kellner brachte die Speisekarten, und der Smalltalk verlagerte sich überraschend zum Thema „Vulkanausbruch in Island“. Natürlich hatte er am Morgen die Zeitung gelesen, also nahm er auch diese Hürde mit Bravour.

Michael fragte Iris, was sie essen wolle und sie meinte „Steak. Rare.“. Er mochte es lieber ganz durch, wollte aber um nichts nachstehen, also bestellte er dasselbe. Dazu die Wienempfehlung des Kellners.

Iris wechselte jetzt das Thema und fragte ihn nach seiner Arbeit. Plötzlich machte etwas in seinem Kopf „klick“, und er begann zu lügen. „Ausstatter beim Film“ sagte Michael und war recht stolz auf sich. Das klang viel besser als „Mannequinbekleider“.  Iris stellte interessierte fragen, und Michael kam sich kühn vor. Er umschiffte alle Untiefen („Kennen Sie Friedrich Meier? Der arbeitet in den Filmstudios bei der Requisite.“) mit Bravour, und schon kam das essen. Auch wenn Michael vor dem blutigen Fleischsaft etwas grauste, hatte er durch die kleine Lüge so viel Aufwind bekommen, dass die Gespräche wie von selbst weitergingen. Sie lachten beide an den richtigen Stellen und verstanden sich großartig.

Michael brachte Iris bis vor die Haustüre und nicht weiter, das gebot sein Anstand, und sie vereinbarten noch diese Woche zu telefonieren.

Zwei Tage später erschien Michael mit seinem Mannequin in der Zeitung. Gegen die Abmachung hatte der Journalist kein Detailfoto ausgewählt, sondern eines wo man seinen Kopf sehen konnte. Und ebenfalls gegen die Abmachung stand sein voller Name darunter, mit dem Zusatz „Mannequinbekleider“.

Als sein Telefon läutete, hob Michael nicht ab. Es konnte nur Iris sein, er bekam sonst keine Anrufe. Aber er konnte sich nicht vorstellen, sie nach der Sache mit dem Foto wiederzusehen.

Am nächsten Tag nahm Michael im Büro das Notizbuch aus der Schublade, warf es in den Papierkorb und zog dem Mannequin neue Strümpfe an.

Comments 1

  1. schuhverkäufer. super idee. warum hatte seine mutter drauf bestanden, daß er schuhverkäufer werden sollte?

    weil sie selbst eine große schuh-sammlerin war? weil sie wollte, daß ihr sohn frauen besser verstehen sollte als der durchschnittsmann?

    also wieder. fortbildung von der firma birkenstock. wir lernen, dachte er, warum man birkenstock am besten nicht mit socken oder strümpfen tragen sollte. weil es nämlich jetzt auch modelle im flip-flop schnitt gibt, da geht das natürlich garnicht.

    hm, sinnierte er weiter, irgenwie muß ich raus aus der misere. jeden tag mit frauen zu tun haben, die prinzipiell behaupteten, kleinere schuhgrössen zu haben, und dann nicht hineinpassten, beleibtere damen, die auf pfennigabsätzen bestehen, für alle wehwehchen ein offenes ohr haben. ich hätte gleich friseur werden können…

    „…. birkenstock jetzt in den modefarben rostbraun und gatschgrün…“

    aha, also wieder der army-trend im kommen.

    meine lieblings-kundin, eine durchgeknallte produktions-tante, wie sie sich selbst nannte, würde sicher kommen, und gleich von jeder farbe ein paar kaufen. in 41. wenigstens eine, die gleich ihre richtige schuhgrösse bekannt gibt, ohne daß ich 3 x rennen muß und sich 5 x über den engen schnitt beschwert wird, bevor ein modell passt.

    vielleicht schaff ich es endlich, ihr von meiner show-idee zu erzählen. ein schuhverkäufer mit einer so schrecklichen familie, daß er es vorzieht, zur arbeit zu gehen, anstatt zeit mit seiner familie zu verbringen.

    für ein vorbild muß ich da nicht lang suchen, mein kollege al, der führt so ein leben. wenn ich mir noch ein paar monate lang notizen mache… endlich ein gesprächsthema für die produktions-tante… vielleicht mal eins, ausser schuhen, daß sie interessiert…

    allein von dem material, daß ich bis jetzt habe, könnte man sicher 1 jahr wöchentliches programm bestreiten, ohne daß es langweilig wird…

    hm. vielleicht ist das mein ausweg aus dem schuheverkaufen. vielleicht schaffe ich es so wenigstens zum personal shopper.

    *seufz*

    „… birkenstock denkt jetzt auch daran, merchandises, wie schlüsselanhänger zu produzieren… „

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