Viennale’11: PROGRAMM 2: E LIKE ENTER

Draußen sitzen die herbstlichen Nebelschwaden tief zwischen den Häusern und ich habe Mühe mich am Abend schläfrig aus der geheizten Wohnung ins Kino zu bewegen. Mit einer kleinen Sehnsucht sehe ich der „Pocket Coffee“ Werbung nach die an der U-Bahn-Türe klebt. Aber Kneifen gilt nicht, schon gar nicht am Anfang der Viennale. Zum Glück werden die Kisten am Eingang zum Kinosaal gerade mit den kleinen Drageekeksisackerln aufgefüllt die der Viennalesponsor sponsert, überhaupt werden diese Drageekeksi schön langsam zu meiner Hauptnahrungsquelle. Solchermaßen gestärkt setze ich mich ins Kino und weiß gar nicht so genau was mich erwartet. Und es wird unverhofft etwas sehr Schönes daraus.

E LIKE ENTER ist ein klug kuratierter Abend aus vier Filmen die sich mit dem Zugang zu moderner Kunst beschäftigen, und zwar einerseits wörtlich, andererseits metaphorisch. Den Beginn macht der Zusammenschnitt einer Dokumentation der Performance Imponderabilia von Marina Abramovic und ihrem damaligen Partner Ulay in einer italienischen Galerie im Jahr 1977. Die beiden hatten damals den Eingang architektonisch auf einen knappen Durchlass verengt, stellten sich nackt mit dem Gesicht zueinander als Türrahmen auf, und jeder der die Galerie betreten wollte musste sich zwischen den beiden durchquetschen. Was auf dem Film zu sehen ist sind Menschen, die sich fast immer der Frau zuwenden (man kommt nämlich nur seitlich vorbei und muss sich zu einem der beiden drehen), die manchmal kurz verweilen, denen es peinlich ist, die es lustig finden, und kaum einer schaut ihm oder ihr je in die Augen. Ein Zugang zur Kunst der durch das Reiben an nackten Körpern zustande kommt, ein schlichtes und wirkungsvolles Konzept. Ulay ist nach dem Film auch da und erzählt sehr spannende Sachen über Performancekunst, aber ich will es hier ja kurz und bündig halten, deswegen nur so viel für die, die das intensiver interessiert: Heute, Montag (24.10.) findet um 15h im Künstlerhaus ein Gespräch zwischen Ulay, Carola Dertnig und Stefanie Seibold statt.

Der nächste Film ist eine Reportage über die Op-Art-Ausstellung THE RESPONSIVE EYE (der Link inkludiert den Film), die 1965 im MoMa in New York stattfand. Gedreht wurde das von Brian de Palma, zu Wort kommen der Kurator William Seitz, weiters der enthusiasmierte Filmtheoretiker Rudolf Arnheim sowie diverse VernissagenbesucherInnen, unter ihnen David Hockney (der diese Art von Kunst übrigens nicht ausstehen kann). Eine spannende Momentaufnahme, besonders wenn man sie jetzt retrospektiv betrachtet.

Jetzt kommt ein sehr kurzer Film von Kurt Kren namens DAS FEST. Wackelige Zeitrafferaufnahmen und unscharfe Bilder mit einem Stimmengewirr auf der Tonebene beschreiben ein Fest im Museum für Angewandte Kunst. Satte Farben, Chaos und Lärm. „Die Trunkenheit des Publikums ist in Krens persönliche Filmsprache übersetzt.“ sagt das Viennale-Programm dazu. Mir bleibt das eher fremd, aber macht nichts.

Zum Abschluss läuft der Dokumentarfilm DIE FÜHRUNG von René Frölke. Darin geht es um den Tag an dem der damalige deutsche Bundespräsident Horst Köhler 2008 die renommierte Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe besucht. Die Werkstätten und Räume sind aus Sicherheitsgründen leer, bis auf einen Studenten der dem Bundespräsidenten und seiner Entourage eine Performance vorführen darf. Der Rektor Peter Sloderdijk, der Professor Peter Weibel und der Herr Bundespräsident bemühen sich um intelligente Konversation, versuchen sich teilweise in ihrer Argumentation zu übertrumpfen, sie sprechen von Realwirtschaft und von Kunst und interpretieren die Performance des einsamen Studenten auf eine Weise, dass dieser keine Antwort mehr parat hat. Eine entlarvende Groteske zwischen Männern (denn außer einer Sekretärin bleibt die Führung frauenlos) in sprichwörtlichen Führungspositionen, fokussiert durch eine konzentrierte Tonebene und sehr nahe schwarz-weiß-Bilder. DIE FÜHRUNG läuft nochmals am 28. und 29.10. im Rahmen eines anderen Kurzfilmprogramms, und ich empfehle es. Hier der Trailer:

Fußnote: Der erste Film zeigt dass die Brillenmode 1977 ganz abscheulich war und der zweite dass man 1965 sehr veritabel aufgeputzt zur Vernissage ins MoMa ging. Auch interessant.

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