Über das Lesen.

Als Kind habe ich Bücher verschlungen. In meiner Familie wurde viel gelesen, ich durfte es sogar am Mittagstisch (danke, liebe Eltern!) und habe einfach dauernd und überall gelesen. Lesen war für mich schon als Kind oft verführerischer als das echte Leben draußen. Und das Regal mit meinen alten Kinderbüchern ist heute immer noch mein wertvollster Besitz.

Aber irgendwann habe ich zu lesen aufgehört. Es kam schleichend, und der Grund war rückblickend gesehen wohl mein Germanistikstudium. Plötzlich musste ich lesen, ich musste das Gelesene interpretieren, ich musste eine bestimmte Seitenzahl bis zu einem Stichtag weglesen. Daneben hatte ich auch beruflich mit Texten zu tun, und zwar am Theater, wo ich einige Jahre als Regieassistentin durch die Lande zog und jeden Tag Theaterstücke vor mir hatte. Dieses Lesen aus der Lust heraus, in andere Welten einzutauchen, war verschwunden.

Lesesehnsucht, © Ines Häufler, 2015

Lesesehnsucht, © Ines Häufler, 2015

Ich weiß den Titel des Buchs nicht mehr, das ich nach vielen Jahren wieder freiwillig und nur für mich selbst gelesen habe, aber das Datum: Es war der Tag, nachdem ich die letzte Prüfung des Germanistikstudiums gemacht hatte. Trotzdem kam ich nie mehr so ins Lesen zurück wie in meiner Kindheit. Denn seit über 10 Jahren habe ich wieder einen Beruf, in dem ich hauptsächlich (Drehbuch-)Texte lese. Und nach einem langen Arbeitstag fällt es mir oft schwer fällt, abends nochmal in eine neue fiktionale Welt einzusteigen, nachdem ich tagsüber schon beim Drehbuchlesen zwischen mehreren hin- und herspringen musste. Dazu kommt ja noch die Sache mit dem Internet. Denn ich lese ja ungemein viel neben den Drehbüchern: Artikel, die jemand auf Facebook verlinkt, Blogs, ich sehe mir Videos an – ich lese genau genommen sicher viel mehr als früher. Nur eben keine Romane.

Vor einiger Zeit hat mich aber die Sehnsucht nach dem echten Lesen so gepackt, dass ich begonnen habe, mich im Freundeskreis umzuhören. Wie lesen meine Freundinnen und Freunde? Wann? Welche Lesegewohnheiten gibt es? Auf Papier oder mit dem E-Reader? Und weil ich natürlich die besten Freunde der Welt habe, sagte I. vor einigen Wochen. „Komm, wir gründen einen Buchclub.“ Und ich so: „Stress!“ Und I. so: „Zu zweit, ohne Druck.“ Und außerdem hat sie gesagt: „Du meldest dich jetzt bei Goodreads an. Du machst doch eh alles mit Apps, das ist sicher was für dich.“

I. hatte recht. Ich benutze jetzt meinen E-Reader regelmäßig, habe letzte Woche meinen Bibliotheksausweis verlängert (habe ich übrigens schon erwähnt, dass meine Bücherei einen der lustigsten Social Media Accounts hat?) und in meinem Bücherregal den „Will ich endlich lesen“-Stapel einen prominenten Platz eingeräumt.

Wobei ich anfangs Schwierigkeiten hatte, reinzukommen. Wenn ich vor dem Schlafengehen lese, werde ich nach 15 Minuten so müde, dass ich einschlafe. Unter tags finden sich auch selten mehr als 20 Minuten am Stück, wo ich konzentriert lese. Bleibt quasi nur das Wochenende. Ich habe mir aber meinen Tagesablauf näher angesehen, und gemerkt, dass es einen Screen gibt, den ich quasi permanent vor mir habe: Mein iPhone. Also hat jetzt ein eBook-Reader seinen fixen Platz auf dem Homescreen, und statt zum 100. Mal Facebook zu checken oder ein Handyspiel zu spielen, lese ich in den vielen Warteminuten in der Ubahn, vor Terminen usw. meine Bücher weiter.

Was ich gerade so lese, könnt ihr übrigens auf meinem Goodreads-Account nachlesen. Rezensionen schreibe ich momentan keine, vielleicht kommt das noch. Ich habe gerade Dave Eggers „The Circle“ gelesen, mit gemischten Gefühlen (Kurzversion: Das Buch ist für mich reichlich eindimensional und aufgeblasen, obwohl ich das Thema sehr spannend finde).

Mich interessieren jetzt aber eure Lesegewohnheiten: Wie und wann lest ihr? Wie schafft ihr es, das Lesen zu einer Gewohnheit zu machen, die in eurem Alltag einen fixen Platz hat? Und natürlich auch: Was lest ihr? Schreibt mir doch dazu etwas in die Kommentare, wenn ihr Lust habt!

Comments 7

  1. Ja, leider ist mir, der ich zigtausend Bücher besitze und Bücher immer als Grundnahrungsmittel betrachtet habe, dieses In-ein-Buch-ganz-hineingehen-Lesen irgendwann verloren gegangen. Zu wenig Zeit, zu viele Parallelgedanken und -gefühle, zu wenig Gegenwart. eBooks gehen für mich überhaupt nicht, zum einen weil mir die Buchhaptik fehlt und auch, weil mich der Job schon bildschirmmüde genug macht. Daher lautet z.Zt. mein Kompromiss: Hörbücher. Ich fahre viel Auto, muss viel im Haus heimwerkeln, gehe gern spazieren – und Bücher mich akustisch dabei begleiten zu lassen ist z.Zt. der gangbarste Weg, mich lesezuernähren. Traurig, wenn ich zu einem Buch nicht komme, weil es keine Audioversion davon gibt – aber damit muss ich z.Zt. leben und solche Menüs auf den Urlaub schieben.

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    Danke für deinen Beitrag, Hendrik! Mir geht es so, dass ich auf leuchtenden Displays (iPad, Laptop) nur berufliches lesen kann, aber keine Romane. Mein eReader läuft auf eInk-Basis, d.h. er muss von außen beleuchtet werden, wie ein normales Buch. Ist auch gesundheitlich besser.

    Was mir jetzt gerade durch das Reflektieren hier im Blog auffällt: Ich empfinde offenbar das Hineinkippen in die Romanwelten als verbotenen Luxus. Also als etwas, das ich auf keinen Fall während der Arbeitszeit machen darf, weil es ein Vergnügen ist. Dabei kann ich mir als Freiberuflerin ja meine Arbeitszeit selbst einteilen. Das finde ich gerade ziemlich erschreckend. Romane lesen sollte kein GUILTY Pleasure sein.

  3. Ich bin immer sehr beeindruckt von den imposanten Leselisten, die manche Blogger*innen Monat für Monat präsentieren. Ist mir ein Rätsel, wann die das alles lesen, aber ich habe selber zum Glück auch in diesem Feld keinerlei sportlichen Ehrgeiz. Mein Problem ist eher, dass ich super picky bin und mich 90 % der Bücher nicht interessieren. Ich suche immer das ganz große Leseglück – und wenn ich es dann gefunden habe (wie zum Beispiel eben mit „H is for Hawk“ von Helen Macdonald, das bitte ALLE sofort lesen müssen), gibt es niemanden, mit dem man darüber reden kann, weil einfach jedes was anderes liest.

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    Ja, über die Leselisten wundere ich mich auch. Picky bin ich momentan aber nicht besonders. Ich genieße erstmal einfach das Gefühl, dass ich mich von Büchern endlich wieder in andere Welten entführen lasse. (Picky bin ich eher bei Kinofilmen, aber das ist ein anderes Thema und hängt wohl eher mit Berufskrankheiten zusammen.)

    „H is for Hawk“ habe ich übrigens schon auf der „Zu Lesendes“ Liste, du hast es ja neulich mal erwähnt. Danke übrigens nochmals für die „Wachsflügelfrau“, die du mir vor Jahren empfohlen hast. Es ist eines der wenigen Bücher, das ich in den letzten Jahren gelesen habe, und es war auch eines der eindrücklichsten Leseerlebnisse in der Zeit.

  5. Mit e-Readern werde ich einfach nicht warm; Ich möchte ein Buch fühlen und riechen. Darum bleibe ich bei Büchern, die ich dann auch behalte. Bei mir ist das Wochenende schon beinahe für das Lesen „reserviert“. Ich merke sonst sehr schnell, dass es mir fehlt, weil lesen für mich einen Urlaubscharakter hat: Ich lerne andere Orte, andere Menschen, andere Lebensgeschichten kennen und wenn es gut läuft, gibt mir das Buch auch noch Denkfutter oder eine kleine Unterrichtseinheit in Stil und Sprachführung. Wenn ich ein Buch weglege, dass mir gefällt oder gefallen hat, ist das eine sehr tiefe und entspannende Befriedigung. Die möchte ich nicht missen. Allerdings ist das Lesen in U-Bahnen und Bussen mittlerweile ziemlich umständlich geworden: Diese vermaledeite Lesebrille, die ich ständig mit meiner Fernsichtbrille vertauschen muss, macht es einfach zu nervig – und 20 Minuten Fahrt reichen mir einfach nicht, um abzutauchen. Unter der Woche fällt mir das Lesen allerdings auch schwer, weil ich ja den ganzen Tag vor dem Rechner und all diesen Buchstaben sitze.

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    Schön, von wem zu hören, der das Lesen immer noch in sein Leben integriert hat! :-)
    Interessant sind die Kommentare auf Facebook und auf Twitter, allesamt haben den Tenor „Stimmt, bei mir ist es genau so“ – vom Bücherwurm zur NichtleserIn scheint eine allseits bekannte Karriere zu sein…

  7. Danke für den großartigen Artikel! Ich denke dadurch, dass wir heutzutage ständig mit so vielen Informationen konfrontiert sind und laufend in den sozialen Medien mit Geschichten gefüttert werden, ist unser „Lesedurst“ mehr gestillt, als früher.
    Allerdings geht meiner Meinung nach nichts über ein gut geschriebenes Buch. Wie oft habe ich bereits meine Haltestelle verpasst, die Zeit übersehen oder im Gehen „noch schnell“ den Absatz fertig gelesen. Bis auf wenige Ausnahmen (Reiseführer und Sachbücher bei denen ich mir gerne Zettelchen reinklebe und Passagen raus streiche) lese ich alles auf meinem kindle touch. Für mich ist es ein super angenehmes Lesegefühl und man hat bei nur wenigen Gramm sein ganzes Bücherregal dabei. Das ist vor allem im Urlaub unglaublich praktisch.

    Betreffend „The Circle“ bin ich ähnlicher Meinung: Großartiges und wichtiges Thema, aber leider nicht besonders gut umgesetzt. Ich würde das Buch dennoch empfehlen – zumindest so lange, bis es etwas vergleichbares und besseres in dem Bereich gibt.

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