Kreatives Schreiben: Weekend Writing #53

Letztes Mal hatte ich ja geschrieben, dass ich überlege, einen neuen, frischen Zugang zur Weekend Writing Challenge zu finden. Bisher ist mir aber dazu noch nichts eingefallen (Wünsche und Input von euch sind immer noch sehr willkommen!), deswegen mache ich einfach mal weiter. Ich bin außerdem sowieso gerade wieder über eine tolle Fotoserie gestoßen. Sie stammt von dem Fotografen, Maler und Filmemacher William Klein, der in den 1950er Jahren unter anderem mit Fellini gearbeitet hat. Dabei sind auch diese Fotos in Rom entstanden, die ihr hier ansehen könnt. Aber jetzt wie immer: Viel Spaß beim Schreiben!

Für alle, die zum ersten Mal dabei sind: Es geht darum, dass ich hier immer am Wochenende ein Foto als Schreibinspiration für eine kurze Geschichte poste. Ob ihr euch dabei an die „Regeln“ haltet, die unter dem Bild stehen, oder nicht, ist völlig euch überlassen. Es gibt auch nichts zu gewinnen, außer der Freude am Schreiben. Wenn ihr wollt, könnt ihr dann eure Texte einfach hier in den Kommentaren posten, gerne auch anonym. Ihr könnt sie aber auch einfach nur für euch in ein Notizbuch schreiben. Ich freue mich übrigens nicht nur, wenn ihr mitmacht, sondern auch wenn ihr es (im Netz) weitererzählt. Je mehr Menschen mitmachen, umso besser!

Foto: William Klein, 1956

Foto: William Klein, 1956

Hier kommt die Anleitung:

  1. Stell dir einen Timer (Küchenuhr, Handywecker…) auf 5 Minuten. Bereit?
  2. Schau dir das Foto 5 Minuten lang genau an. Die Menschen, die Körperhaltung, die Gegenstände. Was ist im Zentrum, was bzw. wer im Hinter- oder Vordergrund? Entdecke die Details, studiere die Gesichtsausdrücke. Was könnte die Geschichte zum Foto sein?
    Pling! Die 5 Minuten sind um.
  3. Stelle jetzt den Timer auf 15 Minuten. Los gehts mit dem Schreiben!
  4. Schreibe eine kurze Geschichte. Da die Zeit begrenzt ist, eignen sich Momentaufnahmen, Vignetten, Augenblicke, Kurzgeschichten, Gedankenströme besser als lange, epische, romanhafte Ansätze. Und denk nicht zu lange nach! Es geht hier weniger um den Kopf als um die Intuition.
  5. Pling! Fertig.

Achtung: Es geht hier nicht um Perfektion, sondern um den Spaß am Schreiben. Deshalb halte ich mich nach den 15 Minuten auch nur sehr kurz mit dem Umschreiben auf. Wenn ich selbst mitmache, korrigiere ich einige Formulierungen, für die mir ad hoc beim Durchlesen doch etwas besseres einfällt, aber im Großen und Ganzen lasse ich die Geschichten so, wie sie beim ersten Wurf entstehen und stelle sie eher „roh“ ins Blog.

Euch fällt nichts ein? Hier einige Fragen, die deiner Fantasie auf die Sprünge helfen können:

  • In welcher Beziehung stehen die Personen zueinander?
  • Wer hat das Foto gemacht, in welcher Beziehung steht die Person zu denen auf dem Foto?
  • Erzählt jemand etwas über die Personen auf dem Bild, oder ist eine Person vom Foto der Erzähler?
  • Wer ist die Hauptfigur, wie heißt er/sie, welchen Background hat er/sie?
  • Welche Erwartungen haben die Personen, was hoffen sie, was befürchten sie? Was sind ihre Lebensträume und Ziele? Was haben sie bereits erlebt?
  • Was ist der Konflikt, das Dilemma, das die Person gerade hat?
  • Was ist vor der Aufnahme passiert, und was passiert, nachdem der Auslöser gedrückt wurde?
  • Was oder wer steht außerhalb des Bildausschnitts?
  • Wie ist die Stimmung der Personen? Ändert sie sich in der kurzen Geschichte?
  • Wie riecht es, ist es warm oder kalt? Friert die Person, ist ihr heiß?

Wenn ihr eure Geschichte im Internet (z.B. auf eurem blog) postet, hinterlasst doch den Link hier in den Kommentaren. oder kopiert den Text in den Kommentar, gerne auch unter einem Pseudonym. Ich freue mich natürlich auch, wenn ihr diesen Artikel auf Facebook und Twitter teilt – es wäre schön, wenn so viele wie möglich mitmachen und diese Form des Weekend Writing ein Fixpunkt im kreativen Internet wird. Aber das überlasse ich der Zukunft. Jetzt geht es los – viel Spaß beim Schreiben!

Für alle WienerInnen: Ich gehe einmal im Monat zu einem Creative Writing Abend bei Barbara Stieff, wo wir uns im informellen Rahmen zum Schreiben treffen. Dabei steht das Ausprobieren und der spielerische Umgang mit Sprache im Mittelpunkt. Also kein Druck, es geht um den Spaß und den Prozess des Schreibens, wie bei dieser Übung. Wer mitmachen möchte, schreibt mir einfach eine Mail, ich leite es dann an Barbara weiter.

Für alle, die die Challenge im Internet teilen wollen: Unser Hashtag lautet #weekendwriting. Er wird bereits von AutorInnen im Netz benutzt, da passt unsere Übung gut dazu.

Comments 3

  1. Als ich aus der Strassenbahn schaute, entdeckte ich eine junge Frau mit Blumen und langem krausem Haar. Sie glich meiner Anna-Mara. Verschlossen, aber schön, alle beide. Sie schien Teil einer Filmkampagne, die Kinder klebten ihre Nasen an die Strassenbahn. Ich blieb still und stumm und schaute gerade weiter. Ich hatte überlebt, weil ich dieses Land verließ. Jetzt konnte ich endlich wieder hier in der Masse untergehen. Ich mochte es immer, Straßenbahn zu fahren. Die Menschen zu sehen. Jetzt bin ich schon sehr alt. Ich habe die Jahrtausendwende erlebt. Geboren bin ich 1910 in Turin. Ich habe 13 Enkel. 8 Mädchen und 7 Buben. Ich habe 5 Urenkel, 1 Mädchen und 4 Buben. Ich fahre noch immer mit dem Tram durch Turin und durch Rom, wo mein ältester Bruder nach dem Krieg wieder hingezogen war.

    All diese Menschen, die mich noch umgaben, ich bin wie ein Baum, der im Wald stand, aber jetzt sind rundherum alle Bäume weg. Die Namen meiner Urenkel schreibe ich alle auf leere Bonbonschachteln und das Wechselgeld vom Tram lege ich abwechselnd hinein.

    Ich hatte ein gutes Leben.

  2. Post
    Author
  3. “Senatus Populusque Romanus”.

    Im Nachhinein, ja, im Nachhinein klar. Ziemlich kranker Humor, den er da an den Tag legte. Wir alle wollten eigentlich nur so schnell wie möglich damit fertig werden. Außer Viktor, der hatte Gefallen daran gefunden, aber der ging halt immer auf in diesen Dingen. Wir hatten damals keine Zeit darüber nachzudenken, warum Viktor unbedingt Wagen 901 wollte. Heute weiß ich das. Hindsight is 20/20 sagen die Amis, stimmt auch hier.

    Zum Beispiel hier, Viktor, im Büro:

    – Das größte Weltreich der Geschichte, Mann. Weißt du, warum die das so lange zusammenhalten konnten? Ich sag’s dir: Einwanderungsgesetze! Stell dir mal vor, Mann, stell dir vor

    er setzte sich ans Eck meines Schreibtischs, was es mir unmöglich machte weiter auf meine Schreibmaschine einzuhacken

    – also, stell dir vor, wenn du römischer Bürger warst, also du hattest die Civitas, weißt du was das bedeutet hat? Wo auch immer du in diesem Riesenreich warst, sobald du sagtest ‘Halt, warte, ich bin römischer Bürger, ich bin ein echter gottverdammter Römer!’, weißt du was da passierte? Nichts! Also, niemand tat dir was. Du warst immun, denn jeder wusste, tu dem Römer was an und du wirst plattgemacht. Und genau aus dem Grund war es so verdammt schwierig römischer Bürger zu werden. Denn das wertvollste das du haben konntest, das waren nicht Gold oder Edelsteine, Mann, das war die Civitas. Und weißt du warum das Reich dann unterging? Weil, verdammt nochmal, die gaben die Civitas irgendwann allen. Goten, Vandalen, kennste aus dem Geschichteunterricht, ne? Ja, und die haben das Reich dann zugrunde gerichtet. Aber, Mann, nicht mit mir!

    Dann lachte er laut auf, rutschte vom Schreibtischeck, schaute triumphierend in die Runde und ging dann wieder vor zur Tafel wo fein säuberlich all die Namen aufgelistet waren. Alphabetisch, denn Viktor war ein wahnsinniger Pedant. Ich weiß, Klassiker. Aber ja, dieser Deutsche, der war Pedant. Ich nehme mal an, dass er darum auch zum Büroleiter gemacht worden war.

    Ziemlich genau fünfzehn Jahre später, als das alles schon so gut wie vergessen war, rief ich bei den städtischen Betrieben an. Interesse, ja? Ich wollte einfach wissen, warum der 901er. Es dauerte etwas bis ich zur richtigen Stelle kam, aber als ich dann mit Monsignore Sempido verbunden war, konnte ers mir endlich sagen. Der 901er war der einzige Wagen in ihrer ganzen Flotte der noch das SPQR Emblem trug. Die Gauverwaltung wollte das nicht mehr drauf haben, weil, ja, wir waren ja das neue Reich, also guter Zeitpunkt das runterzunehmen. Erinnert ja auch die lokale Bevölkerung zu sehr an damals. Das will niemand.

    Woher Viktor das wusste, ist mir schleierhaft, aber er wusste es. Und ja, darum der 901er. Ich hoffe für alle die wir in diesen Wagen steckten, dass sie sich der Ironie nicht bewusst waren. Andererseits, eigentlich egal. Für sie wars ja dann recht schnell vorbei. Für mich nicht, aber das hab ich mir wohl selber zuzuschreiben.

    Shit happens, wie der Ami sagt.

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