Gelesen: LUCY FLIEGT von Petra Piuk (mit Interview)

Hinweis: Danke an den Verlag Kremayr & Scheriau, der mir das Buch als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat.

Lucy will hoch hinaus, und zwar nach Hollywood. Nur hat ihr das Leben bisher keine ideale Startbahn geboten. Trotzdem versucht sie alles, um dem Gemeindebau zu entfliehen. Und wieder Erwarten hat sie es immerhin bis ins Flugzeug geschafft, wo sie ihrem Erfolg entgegenfliegt und wir ihrem inneren Monolog zuhören.

Petra Piuk: Lucy fliegt, Kremayr&Scheriau

Petra Piuk: Lucy fliegt, Kremayr&Scheriau

Lucy, die Protagonistin aus Petra Piuks Debutroman LUCY FLEGT, hat mich einigermaßen in Turbulenzen versetzt. Denn Lucy nervt. Ihr Größenwahn ist anstrengend, für sie, aber auch für mich als Leserin. Und im nächsten Moment kann sie einem wiederum einfach nur leid tun. Eine Woche nachdem ich den Roman, also eher: den Monolog, zu Ende gelesen habe, stehe ich ihr nach wie vor ambivalent gegenüber, dieser größenwahnsinnigen Göre, die nach jedem Tiefschlag wieder aufsteht und einfach weitermacht, weil nicht sein kann, was nicht sein darf.

Lucys Gedanken springen herum, von der Gegenwart im Flieger in die Vergangenheit und wieder zurück. Und ich muss zugeben, dass ich einige Zeit gebraucht habe, um in diesen Text hineinzufinden, aber weniger wegen der Sprache – das Abgehackte passt ja sehr gut zur Nervosität der Figur -, als vielmehr wegen Lucy. Ich habe sie nämlich am Anfang nicht so gut ertragen. Aber je mehr ehrliche und lichte Momente durch den Größenwahn blitzten, desto spannender fand ich sie und ihr merkwürdiges, trauriges und in manchen Ausnahmen dann doch großartiges Leben.

„Das wahre Ich zeigen. Woher soll ich bitte wissen, was mein wahres Ich. Man schaut ja in jedem Spiegel anders aus. Ist mein wahres Ich das da im verdreckten Klospiegel. Oder das in den Spiegeln der Umkleidekabinen, die so schön dünn machen. Keine Ahnung, was mein wahres Ich. Dabei mach ich eh ständig die Psychotests auf Facebook.“

Das denkt sich Lucy einmal, und das ist dann auch der Kern der Geschichte: LUCY FLIEGT ist eine Identitätssuche, die aber wenig aussichtsreich ist, weil Lucy sich so sehr nach außen orientiert und sich für die Außenwelt inszeniert, dass jede neue Hülle, die sie ausfüllen will, zwangsläufig zu groß oder falsch geschnitten ist. Aber anders kann Lucy ihre Identität nicht gestalten als von außen, denn ihr eigentliches Ich ist systematisch zerstört worden, durch die Familie und durch die Umstände. Da ist alles sehr früh zerbrochen, kommt mir vor, und zwar so sehr, dass es nicht mehr zusammengeklebt werden kann. Da bleiben dann nur mehr die Träume vom fernen Hollywood, um überhaupt noch etwas zu haben, für das es sich zu leben lohnt. Und das hat mich dann sehr berührt und beeindruckt.

Wie die Autorin Petra Piuk in die Rolle von Lucy geschlüpft ist, um sich ihre Protagonistin zu erarbeiten, hat sie mir in der zweiten Episode meines neuen Podcasts schreiben.hören erzählt. Wir haben uns dafür am Westbahnhof in Wien getroffen. Hier könnt ihr eine editierte und gekürzte Version des Interviews nachlesen. Alle Fragen und die ausführlichen Antworten könnt ihr hier im Podcast nachhören, in dem ich mit Autorinnen und Autoren über ihre Arbeitsweisen spreche.

Du hast mir einige Orte vorgeschlagen, wo wir uns treffen könnten. Und dann waren ein Zug und der Westbahnhof dabei. Ist das ein Ort, der dir was spezielles bedeutet, oder ist dir das spontan eingefallen?

Ich liebe Bahnhöfe und auch Flughäfen und überhaupt diese Hafenatmosphäre in Städten. Ich schreibe auch gerne in Zügen, und auch auf Bahnhöfen und an verschiedenen Orten. Es kommt immer darauf an, in welcher Schreibphase ich bin. Wenn ich am Anfang bin, um Ideen zu finden und Geschichten zu entwickeln, dann schreibe ich gern an öffentlichen Plätzen. Oft auch an Plätzen, die in der Geschichte eine Rolle spielen, oder eben in Zügen. Wenn ich dann im Prozess des richtigen Schreibens bin, dann brauche ich meine Ruhe. Dann bin ich am Schreibtisch, oder auch gerne in einer Pension mitten im Wald, oder in einer Almhütte – da brauche ich dann die Abgeschiedenheit und Ruhe. Das sind verschiedene Prozesse.

Ist bei dir der Prozess der Umsetzung und der der Ideenfindung voneinander getrennt oder ineinander verwoben?

Das ist total ineinander verstrickt, und ich kann es überhaupt nicht voneinander trennen. Im Fall von „Lucy fliegt“ hatte ich zuerst die Figur, und habe dann erst den Plot entwickelt, und der hat wieder die Figur verändert. Ich habe ganz viele Seiten geschrieben, die ich dann verworfen habe, aber die ich brauchte, um die Figur und die Geschichte kennen zu lernen. Als letztes kam dann erst die Form. Ich habe ganz verschiedene Formen ausprobiert – es gibt Versionen in der Vergangenheit, in der Gegenwart, eine Ein-Satz-Version… ich habe da ganz viel herumgespielt. Und als ich die Form hatte, hat die wieder den Plot verändert und auch wieder die Figur. Ich kann das eigentlich gar nicht trennen.

Die Rahmenhandlung deiner Geschichte ist ein Flug. Das spielt quasi in Echtzeit, aber dann auch wieder nicht, weil die Hauptfigur Lucy so viele Erinnerungen an die Vergangenheit hat, und wir sie immer besser kennen lernen. Ich habe gehört, dass du auch als die Figur Lucy wie eine Schauspielerin einen Flug hinter dich gebracht hast. Ich sage bewusst „hinter dich gebracht“, weil Lucy ja starke Flugangst hat. Ist das etwas, das du für dieses Projekt entwickelt hast, oder arbeitest du immer so, wenn du Prosa schreibst?

Ich komme eigentlich vom Schauspiel und habe auch nach der Schauspielstunde zwei Jahre eine Method Acting Ausbildung gemacht. Ich arbeite gern mit der Methode, und im Fall von Lucy habe ich mir die auch mit verschiedenen Techniken angeeignet. Eine dieser Methoden war der Flug, weil ich eigentlich gerne fliege. Aber ich habe auch schon einmal einen Flug erlebt, der der Horror war. Ich bin nach Chile geflogen, und da gab es heftige Turbulenzen über dem Atlantik. Ich konnte mich nicht ablenken, weil alles ausgefallen war, auch die Videos, und da hatte ich dann auch wirklich Angst. Ich habe dann versucht, mit verschiedene Techniken diese Angst wieder hervorzuholen und bin dann mit dieser „kontrollierten Angst“ geflogen. Ich habe alles, was sie gesehen und gehört hat, und welche Geräusche sie wie interpretiert, und welche Blicke der Stewardessen sie wie interpretiert, notiert, und versucht mit einer ganz anderen Wahrnehmung zu fliegen. Danach habe ich das niedergeschrieben. (…) Ich schreibe auch gerne in Ich-Form und habe auch in der Schauspielzeit am liebsten die Figurenbiografien geschrieben.

Wie machst du das – manche haben Notizbücher, manche haben keine, manche tippen es ins Handy oder iPad, manche merken es sich und gehen sofort in den richtigen Text. Hast du da eine bevorzugte Art? Was hast du zum Beispiel während des Flugs gemacht?

Da hatte ich mein Notizbuch. Wenn ich an öffentlichen Plätzen bin, schreibe ich gerne ins Notizbuch. Das sind dann Figurenskizzen und Handlungsskizzen. Wenn ich dann richtig am Text schreibe, dann schreibe ich gerne am Laptop oder am Standrechner. Ich habe schon immer Notizbücher mit. ich liebe auch Notizbücher in allen Formen und habe ganz viele davon.

Bei mir stapeln sich die angefangenen Notizbücher, und dann sind sie immer in der falschen Tasche. Hast du ein System?

Ich habe pro Projekt ein Notizbuch. Lucy hatte ein dickes Notizbuch, und das neue Projekt hat jetzt wieder ein eigenes. Und dann habe ich für zwischendurch immer so kleine, die dann immer dabei sind.

Führst du das dann an einem Ort zusammen? Ich suche ja immer noch nach einem System.

Das habe ich mir immer vorgenommen, dass ich das dann alles abschreibe – Figurenideen, und Schauplatzideen, und Erlebnisideen. Das hat aber auch nicht funktioniert. ich habe ganz viele Notizbücher, in die ich nicht mehr hineinschaue, die es nur einfach gibt. Ich habe dann einzelne Mappen angelegt, wo ich angefangen habe, Figurenideen in di eFigurenmappe zu geben. Aber da schaue ich in Wahrheit auch nicht mehr hinein. Ich glaube, die wichtigen Dinge sind dann ohnehin im Kopf. Aber vielleicht wird man irgendwann drin stöbern und findet dann etwas. (…) Bei den Romanen ist das aber etwas anderes. Da habe ich dann mein dickes Buch, und da schaue ich schon immer wieder hinein.

Für mich war das Lesend eines Romans ziemlich herausfordernd, weil mich Lucy auf den ersten 30 Seiten unfassbar genervt hat. Was ja ein gutes Zeichen ist, weil da etwas in mir resoniert hat. Aber wie geht man damit um, wenn man eine Hauptfigur hat, die sehr anstrengende, oder sogar unsympathische Seiten hat?

Ich finde das lustig, weil ganz viele Leute sagen, dass sie am Anfang die Figur hassen, aber dann immer mehr mit ihr mitfühlen. Das finde ich ganz schön. Ich habe die Figur nie als unsympathisch empfunden. Das muss man ja fast als Autor, weil du doch drei Jahre deines Lebens mit dieser Person verbringst. Und wenn du die die ganze Zeit unsympathisch findest, hast du ja gar keine Lust daran zu schreiben. Aber vielleicht liegt das auch daran, dass ich ihre andere Seite kenne und weiß, wieso sie so ist.

Feedback ist ein Prozess, der mich auch noch interessiert. In einer Schreibgruppe bekommt man Feedback und Meinungen. Ist das etwas, das dir hilft? Holst du es dir bewusst rein? Wie planst du Feedbackschleifen?

Am Anfang arbeite ich für mich alleine, um zu schauen was ich wirklich schreiben will. Dann hole ich mir Feedback von Freunden, die kritisch sind. Ich habe auch eine Schreibgruppe, wo wir uns einmal im Monat treffen und da auch gegenseitig Kritik geben. Das ist wichtig, sonst verrennt man sich wo, und da ist derBlick von außen wichtig. Man lernt auch von den anderen Projekten viel.

Das gesamte Interview samt Bahnhofsatmosphäre könnt ihr hier im Podcast nachhören.

 

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