Frank Spotnitz: Der Point Of View beim Drehbuchschreiben

Frank Spotnitz am 4.12.2014 in Wien

Frank Spotnitz am 4.12.2014 in Wien

Der Mann. Die Frau. Der Mann. Die Frau. Der Hai. Die Frau. Der Hai. Die Frau. Das Meer. Das ist aus der Anfangssequenz von „Der weisse Hai“, und ein sehr gutes Beispiel für den Spannungsaufbau durch den Wechsel des Point Of View in einer Szene. Und genau darüber hat der amerikanische Showrunner und Drehbuchautor Frank Spotnitz (The X-Files, Hunted) am 4. Dezember auf Einladung des Drehbuchforum Wien in einer Lecture gesprochen.

Ich habe hier drei Aspekte herausgepickt, die für eure Schreibpraxis interessant sein könnten.

1. Stellt eine emotionale Bindung her

Gleich zu Beginn sollte man sich folgende Frage stellen: Welche Situation gibt es, die aus dem Leben gegriffen ist, und mit der ich Empathie beim Zuseher hervorrufen kann? Das spielt auf eine Grundfrage in der Beziehung zwischen der Geschichte und dem Leser oder Zuseher an, die ich sehr wichtig finde: „Why should I care?“ – „Was geht mich das an?“.

Dabei geht es nicht darum, dass die Figur durchgehend sympathisch sein muss. Im Beispiel „Der weisse Hai“ beginnt die Szene mit einer Party am Strand. Der junge Mann ist betrunken und rennt einer jungen Frau hinterher. Selbst wenn man Betrunkensein blöd findet, erkennt man die Situation „wir haben auf einer Party Spaß und machen was Verrücktes“ wieder. Jeder dürfte sowas schon mal erlebt (oder zumindest erträumt) haben. Durch die Perspektive sind wir beim Mann und bei der Frau und haben Zeit, eine emotionale Bindung aufzubauen.

Empathie: Check. Nebenwirkung: Die Ausgelassenheit der beiden überträgt sich auf uns, wir sind nicht in Alarmbereitschaft. Umso stärker wirkt der spätere Angriff des Hais aus uns.

2. Was wissen wir, wovon der Held oder die Heldin nichts mitbekommen hat?

Hier geht es um „dramatic irony“. Das ist ein sehr mächtiges Werkzeug zum Spannungsaufbau, und besagt, dass wir als Zuseher etwas wissen, das der Held oder die Heldin nicht weiß. So wie wir im Beispiel oben durch den kurzen Perspektivenwechsel auf den Hai die Bedrohung bereits kennen, während das Opfer noch ahnungslos im Wasser herumschwimmt.

Als Beispiel brachte Frank Spotnitz einen Ausschnitt aus dem Showdown von „Das Schweigen der Lämmer“, wo wir zuerst Clarices Perspektive einnehmen (teilweise sogar mit einer stark subjektiven Kamera). In der Finsternis sind wir dann genauso orientierungslos wie sie. Dann wird das Nachtsichtgerät eingeschaltet – und wir realisieren: Wir sind im Kopf des Killers und haben seinen Point of View. Wir beobachten dadurch die Hauptfigur, mit der wir sympathisieren, und sind gleichzeitig ihr Angreifer, den Clarice selbst noch nicht wahrgenommen hat. Ein wirklich guter Einsatz des Perspektivwechsels, der bereits ins Drehbuch hineingeschrieben wurde.

https://www.youtube.com/watch?v=Cc7gm3Hthe8

3. Intro – Konflikt – Outro

Das hat jetzt nicht so viel mit dem Perspektivwechsel zu tun, aber mir gefiel das als konkretes Werkzeug gut. Frank Spotnitz hat gesagt, dass er bei der Arbeit im Writer’s Room zu jeder Szene drei Fragen stellt:

  1. Wie steigen wir in die Szene ein?
  2. Was ist der Konflikt?
  3. Wie kommen wir aus der Szene heraus?

Das gilt sowohl für einzelne Szenen, als auch für die gesamte Geschichte, und es schiebt das Nachdenken über die Perspektive an.

Und dann kam in einem Nebensatz noch etwas besonders Schönes. Er fordert die Autoren jeden Morgen auf, die Geschichte (den Plot) zu erzählen. Und zwar nicht technisch, als eine Abfolge von äußeren Handlungen, sondern als würde man sie am Lagerfeuer erzählen. Also packend, emotional, fesselnd. Damit kommt man erstens in Stimmung fürs Weiterschreiben, und außerdem entdeckt man dadurch die Stellen, an denen es noch hakt. Und die, die funktionieren.

Es gab dann in der Publikumsdiskussion noch eine sehr spannende Auseinandersetzung zur Frage, wie man das alles im Drehbuch verankert, ohne der Regie die Arbeit wegzunehmen oder andererseits eine äußerliche und nur rein technische (also emotionsbefreite) Beschreibung abzuliefern. Aber das ist für mich ein so wichtiges Thema, dass ich darüber einen eigenen Blogeintrag schreiben werde.

Denkt ihr bewusst über die Perspektive als narratives Stilmittel nach? Und wie setzt ihr das konkret im Drehbuch um? Ich freue mich auf eure Kommentare!

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