Das TV-Serien-Streaming-Experiment: Ein Nachtrag

Meine Blogreihe über das TV-Streaming-Experiment hat einige Kommentare hier und auf Facebook hervorgerufen. Am meisten habe ich „Ja, genau, das denke ich mir auch schon lange“ und „Ich fühle mich echt verarscht“ gelesen.

Außerdem wurde ich auf diesen Comic von The Oatmeal aufmerksam gemacht (Danke, Michael). Den kannte ich schon, aber man kann ihn gar nicht oft genug anschauen. Genau so bin ich vor meinem Computer gesessen – bloß sieht meine Frisur besser aus.

"I tried to watch Game of Thrones and this is what happened" by The Oatmeal

Was hat das Experiment bei mir persönlich ausgelöst?

Erstens bin ich stinksauer. Und zwar als Konsumentin, aber auch als Mitglied der kreativen Community, die Fernsehcontent produziert (ok, die Produktionen an denen ich als Dramaturgin beteiligt bin, erreichen nicht GAME OF THRONES Niveau, aber sie haben auch ihre Qualitäten und Fans). Ich fühle mich verarscht, und ich glaube wir müssen reden.

Stichwort Anti-Piraterie. Mir ist aufgefallen, dass die Anti-Piraterie Menschen und ich im Grunde genau dasselbe wollen: Dass die KünstlerInnen und UrheberInnen Geld für ihre Werke bekommen. Aber wie mein Experiment gezeigt hat, kann ich trotz wilder Entschlossenheit mein Geld nicht an die Frau und den Mann bringen, die die Werke geschaffen haben. Das ist nicht nur für mich als Konsumentin bitter, sondern auch für alle Kreativen, die die Inhalte produzieren. Ich muss mich mal näher damit beschäftigen, was die Anti-Piraterie Vereine unternehmen, damit sich das ändert.

Stichwort US-Serien vs. heimische Serien: Das Problem betrifft nicht nur die bekannten US-Serien, die ich für das Experiment benutzt habe. Es betrifft genauso den österreichischen Content, der fürs Fernsehen produziert wurde. Abgesehen vom „Catch-Up“, bei denen Fernsehinhalte 7 Tage nach der Ausstrahlung in den Mediatheken der TV Sender im Internet zur Verfügung stehen, sieht es mager aus. Wenn man Glück hat, gibt es einige Serien auf DVD oder online bei Flimmit (z.B. alte Staffel von DIE SCHLAWINER oder alle Staffeln von SCHNELL ERMITTELT).

Aber wenn ich zu einem österreichischen Fernsehmenschen sage „Hey, ich mag deine Serien. Eigentlich würde ich mir gerne JETZT diese eine ansehen“, dann wird sie oder er mit den Schultern zucken müssen und mir sagen, dass ich auf eine Wiederholung im Fernsehen warten muss (von der niemand weiß, ob und wann sie kommt). Dasselbe gilt für die meisten der über 60 Fernsehfilme, die ich als Dramaturgin in den letzten 10 Jahren vom Exposé bis zur Drehfassung begleitet habe. Ich finde das – mit Verlaub – idiotisch und unglaublich ärgerlich, und zwar sowohl für mich als Konsumentin, als auch für die Kreativen.

Zufällig erschien am Montag ein Artikel in der Süddeutschen Zeitung, wo der Autor und Produzent Fred Breinersdorfer u.a. folgendes sagt:

Aber gerade wir Künstler sollten auch die umgekehrte Frage stellen: Wo sind denn die massenhaften legalen Anbieter, die meine Google-Trefferseite füllen könnten? Wo sind denn die innovativen Webseiten, bei denen man mein Werk auf eine Weise herunterladen oder streamen kann, von der ich auch etwas habe? Die einfache Antwort ist: Es gibt sie nicht.

Genau das ist der Punkt. Wo sind sie, die legalen Anbieter?

Stichwort Fernsehen: Ich habe jahrelang die Hiobsbotschaften auf diversen Konferenzen und in Fachartikeln ignoriert, die immer den „Tod des Fernsehens“ herbeiorakelt haben. Frei nach dem Rieplschen Gesetz verschwinden Medien nicht von der Bildfläche, sie werden nur etwas an den Rand gedrängt und in ihrer Funktion spezialisierter. Das hat man mir schließlich bei meinem Studium der Kommunikationswissenschaft beigebracht.

Ich habe meine Meinung mittlerweile geändert. Ich bin keine Expertin und habe keine einzige Studie gelesen, wo drinsteht wie sich das Fernsehen verändert wird, aber in meiner idealen Welt geht das so: Wir werden „Fernsehen“ radikal umdefinieren. Die Nutzung der Inhalte, die von Fernsehsendern produziert werden, ist vom Fernsehgerät entkoppelt. Wir leben ja in einer Zeit, wo Handy-TV, das „Fernsehen“ im Internet und Apps fürs „Fernsehen“ auf Tablets etc. zum Alltag gehören. Wo der Begriff „Second Screen“ das neue Buzzword ist. Und trotzdem werden die überlebenswichtigen Quoten nach wie vor nur an den klassischen Fernsehgeräten gemessen, die in Wohn- und Schlafzimmern stehen? Und von den potentiellen Zusehern wird verlangt, dass sie sich nach den zeitlichen Vorgaben des Fernsehprogramms richten? Willkommen im Jahr 2013.

Wie gesagt: Wohin die Reise des Fernsehens geht, das weiß ich nicht. Aber die großen und sehr hierarchischen Strukturen, die schnelle Reaktionen auf neues Nutzerverhalten kaum möglich machen, und die Macht der klassischen Produktions- und Verwertungstraditionen werden meines Erachtens nach die etablierten Fernsehsender nicht unbedingt erfolgreich in die Zukunft katapultieren.

In diesem Zusammenhang muss ich natürlich auch den Artikel von Richard Gutjahr erwähnen, der seit einigen tagen im Internet viel diskutiert wird und in dem mehrere Thesen zur Zukunft des Fernsehens aufgestellt werden. Sehr lesenswert!

Was ich mir wünsche? Dass man sich zusammensetzt und vom Tabula Rasa ausgeht. Ich will ohne Altlasten und Einschränkungen den Begriff „Fernsehen“ komplett neu denken dürfen. Ich will ohne „Ja, aber…“ Ideen entwickelt, bei denen man nicht bloß ein wenig am Alten herumdoktert, sondern radikal Neues zulässt. Aber da muss man sich von vielem verbschieden, das die letzten Jahrzehnte als eisernes TV-Gesetz galt. Und Loslassen ist immer schwer, vor allem wenn ein 60 Jahre alter Apparat namens „öffentlich-rechtliches Fernsehen“ dranhängt, der tief mit der Politik verflochten ist und aus vielen Anhängigkeiten besteht.

Was passieren wird? Keine Ahnung. Aber als Mitglied der contentproduzierenden Fernsehbranche habe ich jedenfalls einen Logenplatz, von dem aus ich in den nächsten Jahren dem Untergang des klassischen Fernsehens (und hoffentlich seiner Neuerfindung) zuschauen kann, während ich mir neue Arbeitsfelder erschließe. Denn ich bin da jetzt mal ganz ehrlich: Ich bin absolut überzeugt davon, dass das, was wir hier fürs Fernsehen noch machen und wie wir es momentan noch sehen zu Ende gehen wird.

Stichwort spannende Zukunft: Auf Arte gibt es immer wieder Experimente für neue Definitionen von Fernsehen, vor allem im Bereich Transmedia. Die Serie ABOUT KATE fand ich spannend. Dort sitzen offenbar Leute, die sich über die Definition von „Fernsehen“ so richtig gute Gedanken machen dürfen, und das gefällt mir. Ich schreibe hier übrigens bewusst „Gedanken machen dürfen„, denn in den großen alten Fernsehsendern können selbst die kreativsten Geister mit neuen Ideen oft nur sehr begrenzt etwas ausrichten.

Mein Fazit? Ich bin zwar durch mein Experiment sehr wütend geworden und fühle mich als Konsumentin ordentlich verarscht, ich bin aber auch auf spannende Themen gestoßen, über die ich in Zukunft auch hier im Blog schreiben möchte. Interessanterweise ist das Thema „Transmedia“ bei mir in den letzten Monaten beruflich relevant geworden, und ich denke, dass dort für mich eine interessante Zukunft des Geschichtenerzählens liegen wird. Fernsehen wird dabei als Medium eine Rolle spielen, aber es wird sich den Platz mit vielen anderen Medien teilen müssen. Welche das sind, wird im Idealfall die Geschichte bestimmen.

Und außerdem will ich laute Stimmen der KonsumentInnen hören und lesen, denn angeblich wird ja für die das ganze Programm für uns gemacht. Bis die Revolution auf unseren Screens angekommen ist, wünsche ich mir also eines von uns, den ZuseherInnen: SEID LAUT!

Comments 2

  1. Fernsehen wie es jetzt ist: ein Dinosaurier mit 2 von 4 Beinen schon in derTeergrube. Auf der ORF Programmvorschau vor ein paar Wochen: Leichengeruch. Die innovativste Serie: Harald Krassnitzer als „Der Mediator“ (I’m not shitting you: NETFLIX macht „House Of Cards“ und wir antworten mit einem Mediator. This thing is fucking dead in the water. Ja, wir sollten reden. Wann sehen wir uns, Ines ?

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